Kommentar

Der Brexit und ich

Es ist schon komisch, in einem Land zu wohnen, das einen im Grunde gar nicht haben will und, wenn es wollte, ohne offizielle Aufenthaltsgenehmigung im Nu rausschmeißen könnte. Aber noch komischer ist es, wenn sich die eigenen Bürger von ihrem Land im Stich gelassen fühlen. Doch genau das hat der Brexit, der Austritt Englands aus der EU, angerichtet – seit Monaten heißt es nur noch jeder gegen jeden und alle gegen alles, denn bis jetzt fehlt von einem tatsächlichen Plan für den Austritt jede Spur, und es scheint, als würde man noch lange auf eine Einigung warten können.

Foto: Laura Weingrill

Die Bad Tatzmannsdorferin hat in Wien im Vorjahr ihr Publizistik-Studium absolviert und lebt seit Herbst 2018 in Brighton, England. Sie studiert dort Musikjournalismus. Für das Magazin prima! schreibt sie regelmäßig die Musik-Kolumne „Soundnerd“. Wie sie den Brexit vor Ort erlebt, lesen Sie in ihrem Kommentar.

 

 

Es war ein trauriger Tag, als sich im Sommer 2016 knapp 52 Prozent der Engländer für einen Austritt aus der EU entschieden. So wie bei vielen politischen Wahlen wurden auch hier zuvor große Versprechen gemacht, wie etwa das Einsparen von 350 Millionen Pfund pro Woche und die gleichzeitige Investierung in das Gesundheitssystem, jedoch konnten keine davon gehalten werden, ganz zur Enttäuschung der britischen Bevölkerung. Seither hat sich das Abkommen in eine Art Murmeltier verwandelt, wo an dem einen Tag nie sicher ist, was wohl am nächsten passieren wird. Schon drei Mal wurde im Parlament inzwischen gegen den Brexit-Plan abgestimmt. Wer dabei also nach Einigkeit sucht, ist definitiv am falschen Ort. Einzig und allein in ihrer Abscheu gegen die ehemalige Premierministerin und Frau hinter dem ganzen Chaos, Theresa May, schienen sich die Briten einig zu sein. Doch nun hat auch sie den Kampf mit der EU verlassen und ihren Rücktritt bekanntgegeben. Jetzt liegt es an jemand anderem das Beste für das Land herauszuschlagen – auch wenn das Beste für viele das Schlimmste bedeuten könnte.

Viele Leute fragen mich, ob ich mir denn nicht Sorgen mache, immerhin lebe ich ja in einem Land, das mich nach meinem Musikjournalismus-Studium ganz leicht zurück nach Österreich schicken könnte, falls ich keinen Job finde. Und betrachtet man die Situation und wie viele Menschen und Unternehmen inzwischen schon durch den bevorstehenden Brexit freiwillig England hinter sich gelassen haben, da ihnen Länder in der EU inzwischen bessere Konditionen bieten können, würde es sicher niemanden wundern, wenn auch ich meine Koffer packen würde. Aber als ich mich dazu entschied, nach Brighton, England, zu ziehen, als bereits für den Brexit gestimmt worden war, wusste ich, worauf ich mich einlassen würde, und dass meine Zukunft, zumindest nach Beendigung meines Studiums, in England nicht zu hundert Prozent gesichert sein würde.

Und trotzdem mache ich mir tatsächlich nur wenig Sorgen. Das könnte eventuell an meinem ungebrochenen Optimismus liegen, oder daran, dass noch immer zwei Jahre Studium vor mir liegen und mir in dieser Zeit nichts passieren kann, da ich es ohne Erhöhung der Gebühren oder ähnliches beenden können werde. Das verdanke ich dem Umstand, dass ich mein Studium noch vor dem offiziellen Austritt beginnen konnte, der ja nun auf Ende Oktober diesen Jahres verlegt wurde. Hätte ich erst nach diesem Datum begonnen, müsste ich Studiengebühren in doppelter Höhe bezahlen. Viele Universitäten in England wehren sich jetzt schon gegen solch eine Erhöhung, da es die Studierendenzahlen enorm senken könnte, jedoch kommt es dabei vorrangig darauf an, wie letzten Endes der Brexit-Deal tatsächlich aussehen wird. Aber abgesehen von den Handy-Verträgen und den etwaigen Arztbesuchen, bei denen ich bisher noch durch die Abschaffung der Roaming-Gebühren und durch den Besitz der EU-weiten E-Card abgesichert bin, fühle mich in meinem zweiten Zuhause noch relativ sicher und willkommen. Würde England nun wirklich den Brexit durchziehen, müsste ich mir dadurch eine landeseigene Versicherung und einen neuen Handyvertrag zulegen. Es könnte also definitiv schlimmer sein.

Man sollte aber auch bedenken, dass nicht nur die in England lebenden EU-Bürger, wie ich einer bin, unter dem Brexit leiden (könnten), sondern auch die Briten selbst, die eigenen Landsleute also. So können es sich etwa durch die gestiegenen Wohnpreise meine WG-Partner nicht mehr leisten, in ihrem jetzigen Haus zu wohnen, und müssen sich nun auf die Suche nach einem neuen, kleineren Heim machen. Darüber hinaus bekommt meine Mitbewohnerin schon jetzt die Auswirkungen im Rahmen ihrer Arbeit zu spüren, da sehr viele Unternehmen daran arbeiten, Rohstoffe anzusammeln, weswegen sie für ihr Keramik-Studio nun keinen Ton mehr kaufen kann. Genauso sieht es bei Medikamenten aus, besonders wenn es um Diabetes-Pharmazeutika geht, die vielfach nicht mehr erhältlich sind. Und auch der Pfund scheint jeden Tag anzusteigen. Man würde ja meinen, durch das Brexit-Chaos würde alles ein wenig billiger werden, aber schwer gefehlt.

Immer wieder finden im ganzen Land Demonstrationen gegen die Regierung statt, und dazu erkennen immer mehr Menschen, dass ein Austritt aus der EU wohl doch nicht die beste Wahl war. Und damit wären wir wieder bei der Frage, ob der Brexit denn wirklich das ist, das den Briten gut tut. Eine Frage, auf die leider nicht einmal die Regierung selbst eine Antwort zu haben scheint.


Der BREXIT
Am 23. Juni 2016 haben die Briten bei einem Referendum mit rund 52 Prozent der Stimmen für den Brexit – den Austritt aus der Europäischen Union – gestimmt. Nach mehr als 40 Jahren Mitgliedschaft werden die Briten als erstes Land die Europäische Union verlassen.Die Austrittsverhandlungen, die die britische Premierministerin Theresa May Ende März 2017 formal eingeleitet hat, müssten nach spätestens zwei Jahren abgeschlossen sein, jedoch wurde der ursprüngliche Austritt am 29. März 2019 aufgeschoben. Bei einem EU-Sondergipfel im April stimmte der Europäische Rat dem zu und vereinbarte als Austrittsdatum spätestens den 31. Oktober 2019. Jedoch kann der Austritt auch früher erfolgen, sollte es zu einer Übereinkunft kommen. Andernfalls müsste Großbritannien an der kommenden Europawahl 2019 teilnehmen. Theresa May hat nun vor wenigen Tagen ihren Rücktritt angekündigt. Sie forderte engere Beziehungen zur EU oder gar eine Rücknahme des Austrittsgesuchs nach einem entsprechenden zweiten Referendum.

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