Gefühle, Macht und Integration

Wie überbordernde Regeln und Vorschriften Integration blockieren.

KOMMENTAR von Gerhard KUICH / 24. August 2025

Kommentar von Mag. Gerhard Kuich, ehemaliger Geschäftsführer und heutiger Obmann von Vamos – Verein für Integration von Menschen mit Behinderung in Markt Allhau

Integration wird heute zunehmend erschwert – nicht, weil Menschen nicht zusammenfinden könnten, sondern weil die Furcht vor dem Anderssein immer stärker in Regeln und Vorschriften übersetzt wird. Was einst als Schutz gedacht war, verfestigt sich nun als Hindernis. Dabei zeigt sich in unserer Arbeit bei Vamos seit Jahrzehnten, dass Integration nur dort gelingt, wo Menschen Raum für Begegnung, Respekt und gegenseitiges Verständnis bekommen. 

Nur so entsteht Zugehörigkeit – und mit ihr Teilhabe an wichtigen Lebensbereichen.

Die Corona-Krise hat in unserer Gesellschaft tiefe Spuren hinterlassen – darüber herrscht weitgehend Einigkeit. Zumindest hört man oft: „Früher war es anders.“

In ihrem 2024 erschienenen Buch „Explosive Moderne“ analysiert die israelisch-französische Soziologin Eva Illouz die in modernen Gesellschaften vorherrschenden Gefühle. Eines davon ist die Furcht: Furcht vor dem Fremden, Furcht vor den Mächtigen, Furcht des Staates vor seinen Bürgern. Es gibt unzählige Gründe, sich zu fürchten.

Während der Corona-Krise stand für viele die Angst vor der Krankheit im Vordergrund. Um dieser Angst zu begegnen, waren die liberalen Demokratien gezwungen, Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit ihrer Bürger zu ergreifen. Daraus entstand eine Mentalität der Vorbeugung – verbunden mit einer hohen Bereitschaft, sich staatlichen Vorgaben zu unterwerfen. Diese Haltung hat sich tief in unserer Gesellschaft verankert und die Rolle des Staates nachhaltig gestärkt.

Was in der akuten Krise notwendig war, erscheint im Rückblick nicht immer geeignet, um das Befürchtete tatsächlich zu verhindern. Dennoch wirkt diese Mentalität nach – in Form von Regeln und Gesetzen, die durch staatliche Institutionen umgesetzt werden.

Damit komme ich zum Kern meiner Überlegungen:

Wenn die Logik der Vorbeugung nun auch auf den Umgang mit Behinderung übertragen wird – also auf Menschen, deren Lebensrealitäten so vielfältig wie einzigartig sind – führt dies paradoxerweise nicht zu mehr Schutz oder Teilhabe, sondern zu weiterer Ausgrenzung. Denn: Kein behinderter Mensch gleicht dem anderen. Und doch werden sie zunehmend in Kategorien eingeordnet, verwaltet und reglementiert.

Dabei ist seit Langem bekannt: Behinderung ist weder Krankheit noch auf die individuelle Situation des Einzelnen reduzierbar. Sie ist ein Produkt gesellschaftlicher Bedingungen. Ausgrenzung ist kein individuelles, sondern ein gesellschaftlich erzeugtes Phänomen.

Deshalb braucht es mehr Mut. Mut, Menschen als Menschen zu sehen – mit Wünschen, Fähigkeiten und dem Recht auf Selbstbestimmung. Es braucht weniger Machtausübung, die sich hinter Diagnosen und Zuschreibungen versteckt.

Denn nichts sollte eine freie und offene Gesellschaft mehr fürchten als die Furcht selbst.

Lächelnde Person lehnt an einem Schild mit vamos Logo, Verein zur Integration, im Hintergrund ein Gebäude.
©zVg Vamos
Mag. Gerhard Kuich

ehemaliger Geschäftsführer und heutiger Obmann von Vamos – Verein für Integration von Menschen mit Behinderung in Markt Allhau

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