Nicole MATSCH / 26. November 2025
© Nicole Matsch
So kennt man Garbiel in Oberdorf – mit seiner leuchtenden Warnjacke ist er im Ort unterwegs, zum Plaudern aufgelegt und fast immer gut drauf.
Man erkennt ihn schon von Weitem an der leuchtenden Warnjacke und dem wiegenden Gang. Ein sanfter Riese, sagen seine Brüder Horst und Rainer, zwei seiner vier Geschwister. Freundlich, hilfsbereit, mit einem Herzen, das größer ist als seine Worte. Denn die versteht man nicht immer gleich. Der 44-Jährige Gabriel Halper lebt mit einer geistigen Beeinträchtigung. Er redet schnell, verschluckt Silben. Wer ihn bittet, langsamer zu sprechen, bekommt aber klare, durchdachte Antworten – manchmal entwaffnend ehrlich. „Man muss mit ihm gar nicht besonders vorsichtig umgehen“, sagt Horst. „Er merkt genau, wer es gut mit ihm meint.“ „Das passt schon“, stimmt Gabriel zu und winkt ab, wie meistens, wenn man ihn nach seinen Bedürfnissen fragt.
Alltag im eigenen Rhythmus
Lesen und Schreiben hat er nie gelernt – das Leben dafür umso besser. Mit beeindruckender Selbstverständlichkeit meistert er seinen Alltag. Als die Eltern starben, war zunächst ungewiss, wie es weitergehen würde. Doch Gabriel fand – nicht zuletzt dank der vielen wohlwollenden Menschen um ihn herum – seinen Weg. Seit 2017 lebt er allein in einer betreubaren OSG-Wohnung, kümmert sich um seinen Haushalt, fährt mit dem Linienbus, braucht nur wenig Unterstützung. „Wir hätten nicht zu hoffen gewagt, dass es ihm einmal so gut gehen würde“, freuen sich die Brüder mit ihm, als er ihnen Kaffee macht, mit ihnen anstößt und laut „Egészségére!“ ruft – Ungarisch für „Prost!“. Das hat „Gabschi“ von der Kellnerin beim Dorfwirt gelernt, mit der er gerne in ihrer Sprache scherzt. „Ja, ja, die Henni macht mir immer ein Mineral-Zitron“, erzählt er mit großen Gesten, weil ihm das wichtig ist.
Unter der Woche steht Gabriel mit den Kirchenglocken auf, kurz vor dem Wecker um sechs Uhr. In der Förderwerkstatt von „Rettet das Kind“ in Großpetersdorf arbeitet er in der Tischlerei – baut Gartenmöbel, macht kleine Restaurationen. „Eher die groben Sachen“, erklärt Rainer, „aber da ist er sehr kompetent“. „Jetzt bin ich mehr im Außendienst. Das gefällt mir besser. Kisten schleppen. Die sind schwer“, erzählt Gabriel und wischt sich mit dem Handrücken über die Stirn. Wann es Zeit ist, wieder heimzufahren, erkennt er am Zeigerbild seiner Uhr, denn mit Zahlen kann er nicht so gut umgehen. In Oberwart muss er meistens noch auf den Bus warten. Manchmal gönnt er sich dann ein Eis, daheim erzählt er es aber lieber nicht. „Er weiß, dass er auf seinen ‚Zucker‘ aufpassen muss, aber das ist seine kleine Freiheit“, schmunzelt Horst. Gabriel hat Humor, einen ganz eigenen. Rainer erzählt von einem Café-Besuch. „Ich lad dich ein“, sagte Gabriel großmütig zu ihm – und nach einer kurzen Pause: „Aber du zahlst!“
„Der Pfarrer is’ mein Hawara“ – Mittendrin statt nur dabei
Dass er in Oberdorf so fest verankert ist, macht vieles leichter. Feuerwehr und Pfarrgemeinde sind seine erweiterte Familie. Hier denkt niemand über Inklusion nach, hier passiert sie einfach. Wer sein bester Freund ist? „Der Pfarrer is’ mein Hawara“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. Aber auch Karl, Adolf, Fredi, Ruth … Noch viele weitere Namen aus der „Kira“ zählt Gabriel auf, das Kinn nach vorn gereckt, zur Bekräftigung, dass alle seine Freunde sind. Dann ein kurzes Aufblitzen, sein Gesicht erhellt sich, ein Lachen: „Und bei der Feuerwehr sind wir sowieso alle Brüder.“
Der 44-Jährige ist überall dabei, arbeitet mit, ist zuverlässig. Als Kreuzträger – seit dem zwölften Lebensjahr –, als Ministrant, als Mesner, bei Feuerwehr-Übungen. „Er ist immer bereit, selbst mit anzupacken, ohne dabei ins Rampenlicht zu drängen“, sagt auch Bürgermeister Roman Dietrich anerkennend. Für seinen Einsatz wurde Gabriel bereits vielfach ausgezeichnet. Er zeigt seine Urkunden und Medaillen, lässt eine durch die Finger gleiten, kann sich gerade nicht erinnern, wofür sie ist. Kein Wunder, es sind so viele. Von fast jedem Verein, jeder Organisation im Ort besitzt er ein Leiberl, eine Krawatte, ein Kapperl – sichtbare Zeichen seiner Verbundenheit. Wenn gerade „Nichts G’scheites“ im Fernsehen ist, läuft die CD des Männergesangsvereins in Dauerschleife, und in gemütlicher Runde stimmt Gabriel oft selbst „Ein Prost mit harmonischem Klange“ an. Er hat eine schöne Stimme.
Einer, der dazugehört – und fehlen würde
Auch im Alltag ist Gabriel nie allein. Die Brüder helfen, wo es nötig ist. „Fesch bist“, sagt Rainer, der ihm regelmäßig die Haare schneidet. Gabriel fährt sich über den Hinterkopf, überprüft die Frisur. Einer kurzen Verlegenheit folgt ein offenes, stolzes Lächeln.
Die Brüder laden ihn regelmäßig zum Essen mit ihren Familien ein – er kommt nicht immer. „Manchmal vergisst er wahrscheinlich – oder hat was Besseres zu tun“, scherzt Horst. Zwei weitere Geschwister leben außerhalb von Oberdorf, doch auch sie halten den Kontakt. Für Gabriel ist das selbstverständlich, ein stilles Netz, das ihn trägt, ohne sich aufzudrängen.
Wenn zu viele Menschen durcheinanderreden, zieht sich Gabriel zurück. Und wenn ihm etwas nicht passt, zeigt er es. „Er hat einen eigenen Willen“, sagt Horst, „und das ist gut so.“ Doch an seinem Geburtstag kann es ihm gar nicht voll genug werden. Zum 40er läuteten die Glocken und die Blasmusik spielte auf. Der ganze Ort kam, um zu gratulieren. Gabriel im Mittelpunkt. In der Kirche dankte man ihm für seine Verlässlichkeit als „unverzichtbares Mitglied unserer Pfarre“. Vom Bischof gab es ein persönliches Geschenk: eine handsignierte Baseballkappe mit Geburtstagsgruß. Später wurde beim Pfarrgemeindezentrum gefeiert – Gabriel nennt es stolz „das Klubhaus“. Es war ein Fest, wie es Oberdorf liebt. „Wenn es nach ihm ginge, würde er jedes Jahr so feiern – mit allen Vereinen“, schmunzelt Horst.
Am liebsten aber ist Gabriel im Ort unterwegs. Mit seiner leuchtenden Jacke zieht er seine Runde: Sportplatz, Dorfwirt, Friedhof, Kirche. Er ist kein Außenseiter, kein Sonderfall. „Er ist das Inventar von Oberdorf“, sagt Rainer, und der Bürgermeister bestätigt: „Gabriel Halper ist zweifelsohne einer jener Menschen, ohne die Oberdorf nicht Oberdorf wäre.“ Ein Stammgast beim Dorfwirt meint herzlich: „Ich glaub, der Gabriel ist bei uns gut aufgehoben.“ Vielleicht stimmt das. Noch wahrer ist aber: Oberdorf ist gut aufgehoben bei Gabriel.

Zu Gabriels 40er gab es eine große Feier. Der Bischof schickte Geburtstagsgrüße in Form einer signierten Kappe. Auch von der Pfarre wurde Gabriel beschenkt. Pfarrer Jacek Czerwinski und Pfarrgemeinderat Erich Unger freuten sich mit ihm.

Gabriel ist stolz auf seine vielen Ehrungen und Urkunden von Kirche und Feuerwehr.

Seit dem 12. Lebensjahr trägt Gabriel das Kreuz bei kirchlichen Anlässen. „Wen anderen haben sie nicht“, sagt er.

Fotos: zVg, Karl Tuider

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