Wie ein Chamäleon

In einer Zeit, in der Frauen immer noch in ein Korsett von Zwängen gepresst werden, sind Lebensgeschichten wie diese ein Beispiel für Unabhängigkeit und Mut. Das Leben von Trude Meichenitsch war stets von Neugier und Freiheitsdrang geprägt. Als Chamäleon der Verwandlung beherrscht sie die Kunst, zwischen den Extremen zu balancieren – zwischen harter Arbeit und dem extravaganten Auftritt im Alltag. Ihr Haus in Bernstein ist ein Symbol ihrer Individualität. Es ist die Geschichte einer Frau, die immer neugierig geblieben ist auf das, was die Welt jenseits des Tellerrands zu bieten hat.

Nicole MÜHL / 27. März 2024

Trude Meichenitsch ist alles andere als angepasst. Hüte liebt Trude Meichenitsch besonders. .

Bunt und exzentrisch. Es gibt Tage, da ist Trude Meichenitsch mit ihrer blauen Perücke unterwegs. Es kann auch die türkise werden. Ihre Liebe zu Hüten macht sie mit extravaganten Modellen sichtbar. Und Schuhe! Nichts geht ihr über Schuhe. Vintage, fancy, rave, wave – Stil ist keine Frage des Alters, hat bereits die US-amerikanische Modeikone Iris Apfel gesagt. Dieses Motto lebt auch Trude Meichenitsch. Nicht in einer Großstadt, wo Extravaganz eine breitere und vielfältigere Plattform findet. Sondern im Südburgenland. Denn Stil ist auch keine Frage des Ortes, sagt sie. Beim Einkaufen. In der Prosecco-Runde in der Oberwarter Grocceria. Beim Scrabblen. Und auch beim Training drei Mal in der Woche im Fitnesscenter. Trude ist wie ein Chamäleon, sagen ihre Freundinnen. „Du weißt nie, in welchem Outfit sie heute kommt. Aber sie ist immer perfekt gestylt.“ Bereits in den 1990er-Jahren hat Trude Meichenitsch mit ihrem Geschäft „Hyper Hyper“ den London Style nach Oberwart gebracht. Lack- und Lederhosen, gewachste Outbackmäntel – sie brachte Punk-Mode ins Südburgenland. Ihr Stil war aber bereits damals vielfältig. Später eröffnete sie als Storemanagerin eines großen exklusiven Modelabels zehn Filialen in Deutschland. Jahrelang waren 4-Sterne-Hotels ihr Zuhause. Doch immer wieder kehrte sie zwischendurch in ihre Heimat Bernstein zurück. Ihr Haus ist ein Unikat. Außergewöhnlich und alles andere als angepasst. Es ist aber auch die Bestätigung dessen, was ihre Freundinnen außerdem von ihr behaupten: „Trude kann hackeln wie drei Männer. Es ist unglaublich, wie sie schuftet.“

Trudes Eltern waren Gerber. Die Vorfahren der Mutter Schwaben. Weil deren Bruder im Krieg gefallen war, musste sie den Betrieb übernehmen. In siebenter Generation. Trudes Vater kam aus der Südsteiermark, hat sich in die Gerbermeisterin in Bernstein verliebt und gemeinsam mit ihr den Traditionsbetrieb geführt. Drei Perioden hindurch war er sogar Bürgermeister in Bernstein. Weil Leder damals aber immer mehr aus Marokko importiert wurde, mussten er und seine Frau die Gerberei Ende der 1950er-Jahre schließen und spezialisierten sich auf die Edelserpentinverarbeitung. In der Hochblüte hatte der Betrieb bis zu 30 Mitarbeiter. „Meine Eltern waren fleißige
Leute“, erinnert sich Trude an sie. Aber Fleiß erwarteten sie auch von ihren fünf Kindern. Als die Mutter sehr früh
erkrankte, musste Trude ihre Geschwister versorgen und im Betrieb mithelfen. Im Laden am Hauptplatz wurden die Edelserpentin-Produkte an Touristen verkauft. Dabei hätte sie schon mit 17 beim bekannten Uhrmacher Hermann Allerstorfer in Hawaii arbeiten können. „Aber meine Mutter hat mich gebraucht“, erinnert sie sich zurück. Sie war sehr krank und auf Hilfe angewiesen. Und Trude blieb. Auch wenn sie wusste, dass die Welt nicht in Bernstein endet. Ihre Abenteuerlust und ihr Wunsch nach Freiheit sollten aber noch verwirklicht werden.

Abenteurerin mit Wurzeln

Die Vitrinen und alten Schränke in der Küche von Trude Meichenitsch sind gefüllt mit Porzellangeschirr und Kristallgläsern von annodazumal. Solches, das man auf besonderen Trödlermärkten findet. Der Raum und das gesamte Haus sind eine Hommage an vergangene Zeiten. Jedes Stück darin könnte als Kramuri bezeichnet werden, aber es wurde sorgfältig ausgewählt und zusammengetragen, um eine Atmosphäre zu schaffen, die an die Tradition und Kultur des Südburgenlandes erinnert. Es ist ein Ort, der reich an Erinnerungen ist und das Gefühl gibt, in eine andere Ära einzutauchen, voller Geschichten und Geheimnisse.

Ihr Zuhause musste sich Trude aber hart erarbeiten. Als der Vater vor rund 25 Jahren starb, hat sie begonnen, die Werkstatt auszubauen. Anfangs besaß sie einen alten Holzofen für die kälter werdenden Nächte des Spätsommers und eine Hängematte – eine liebgewonnene Angewohnheit von ihrem dreimonatigen Aufenthalt beim Volk der Piaroa und Yanomami in Venezuela. Raum für Raum machte sie über die Jahre bewohnbar. Viele Sommer verbrachte sie in Griechenland als Skipperin am Schiff. „Das war die schönste Zeit meines Lebens“, sagt sie heute. Sonne,Meer, Freiheit. Dafür machte sie den deutschen Segelschein und Jachtführerschein und absolvierte die Funkprüfung. Am Schiff lernte sie viele handwerkliche Dinge, die ihr im Leben zugute kamen. „Ich hätte diese Werkstatt niemals zu meinem Wohn- und Lebensraum umbauen können, wenn ich nicht viele Umbauarbeiten selbst gemacht hätte“, sagt sie. Die Zeit am Schiff habe ihren Hunger nach Freiheit gestillt. Die Verbundenheit mit
Bernstein ist aber immer geblieben

Als Hundertwasser nach Bernstein kam

Heute spielt Trude Meichenitsch einmal wöchentlich Scrabble im Café Alt Wien und manchmal auch im Café Postkastl. Ein Ort, der Teil ihrer Lebensgeschichte ist. Mit ihrem damaligen Mann, einem Keramikkünstler, führte sie Anfang der 1980er-Jahre genau in diesem Gebäude eine Galerie. Arik Brauer, Gottfried Kumpf, Friedensreich Hundertwasser – sie alle waren vertreten. „Hundertwasser habe ich sogar für eine Vernissage hergeholt“, erinnert sich Trude Meichenitsch lächelnd. Sie habe ihn einfach angerufen und tatsächlich einen Termin bei ihm bekommen. Am Ende des Gespräches soll er zugesagt haben, dass er in ihre Galerie nach Bernstein zu einer Vernissage komme. „Weil Sie mir sympathisch sind“, soll er gesagt haben. Das war im Jahr 1981. Die gesamte burgenländische Politik- und Kunstszene war zu diesem Anlass nach Bernstein gekommen. Der damalige Kulturminister Fred Sinowatz ebenso wie Landeshauptmann Theodor Kery und Toni Stricker konnte als Musiker gewonnen werden. „Es war ein unglaubliches Spektakel“, erinnert sich Trude Meichenitsch.

Frauenfreundschaft

Geht nicht, gibt es im Leben von Trude nicht. Während ihrer Lehrzeit zur Einzelhandelskauffrau lernte sie eine junge Frau kennen, die aus Grenada (Karibik) stammte. „Eileen war mit der Vorstellung nach Österreich gekommen, hier als Rezeptionistin arbeiten und sich ein gutes Leben aufbauen zu können. Letztlich landete sie in einem Bordell“, erzählt Trude. Ohne Pass und zur Prostitution gezwungen traf Eileen in einem Kaffeehaus zufällig
auf die damals etwa 17-jährige Trude. Das war Anfang der 1970er-Jahre. Trude teilte über Monate hinweg ihr geringes Lehrlingsgehalt mit der Frau und verhalf ihr schließlich zur Flucht nach London, wo sie bei einer Tante unterkommen konnte. Heute arbeitet Eileen als Krankenschwester in New York und die Frauen sind nach wie vor untrennbare Freundinnen. „Niemand hatte damals die Courage ihr zu helfen“, erzählt Trude. Ihr Mut und Einsatz für andere sind bis heute geblieben. Als 2022 Frauen aus der Ukraine nach Bernstein kamen, half Trude Meichenitsch täglich mit, diese zu versorgen. Heute ist sie einmal pro Woche für sie da. Respekt jedem Menschen gegenüber ist ihr wichtig. „Ich behandle jeden so, wie ich auch behandelt werden möchte“, erklärt sie. Die Persönlichkeit eines Menschen zählt. „Und die hat Trude, egal ob sie mit türkisen oder blauen Haaren das Haus verlässt“, sagen ihre Freundinnen. Und dass sie eine Frau ist, die sich nie dem Druck der Anpassung unterwirft. Mutig und kreativ und immer neugierig auf das Leben.

Trude Meichenitsch mit ihrer blauen Perücke lächle in die Kamera

Die blaue Perücke liebt Trude Meichenitsch besonders. 

Trude Meichenitsch als junge Frau sitzt mit ihrer Katze vor der Kamera und lchelkt. dIe Katze liegt auf ihrem schoss und hat die Augen halb geschlossen

Trude Meichenitsch mit ihrer Katze

Trude Meichenitsch als junge Frau hinter dem Verlaufsladen in ihrem ehemaligen Geschäft Hyper Hyper in Oberwart

In den 1990er-Jahren hat sie mit ihrem Geschäft „Hyper Hyper“ u.a. auch Punk-Mode nach Oberwart gebracht

Das Haus von Trude Meichenitsch in ganzer Länge. Es ist ein Gebäude mit vielen großen Fenstern und einer blau-weißen Tür

Trude Meichenitsch hat die meisten Umbauarbeiten bei ihrem Haus selbst erledigt.

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