Interview

ROMA: Ein unterschätzter Schatz für Europa

Klischees, Vorurteile, Vorbehalte, Ausgrenzung und Diskriminierung: Drei Jahrzehnte nach der offiziellen Anerkennung der Roma als Volksgruppe hat sich vieles gebessert. Aber längst nicht alles. Volksgruppenvertreter Emmerich Gärtner-Horvath im Gespräch mit Walter Reiss.

(c) Thomas Topf

Am 16. Dezember 1993 wurden Rom*nija als sechste Volksgruppe in Österreich anerkannt. Diese Anerkennung war das Ziel eines langen beschwerlichen Weges und eines Kampfes um Gleichstellung in der Gesellschaft. Emmerich Gärnter-Horvath ist Volksgruppenvertreter

 

Volksgruppe, Sprache, Kultur und die grausame Verfolgung und Ermordung von Romnija und Roma durch die Nationalsozialisten sind wissenschaftlich dokumentiert, in immer mehr Gemeinden erinnern Gedenkstätten an verschwundene Romasiedlungen, mehrere Organisationen und Vereine vertreten die Anliegen der nachfolgenden Generationen. Aber Rassismus und Antiziganismus sind nach wie vor weit verbreitet. Seit 2016 leitet Emmerich Gärtner-Horvath aus Kleinbachselten den Volksgruppenbeirat der Roma. Dieses Gremium nahm 1995 seine Arbeit auf. Nur zwei Monate nach dem schwersten rassistischen Verbrechen der Zweiten Republik, als in Oberwart vier junge Roma ermordet wurden.

Noch in den 1980er-Jahren hieß es bei Arbeitssuche und in Discos: „Zigeuner unerwünscht!“ Ist das längst Geschichte oder noch immer spürbare Erinnerung? 

Emmerich Gärtner-Horvath: Woran ich mich sehr gut erinnere, das sind die sogenannten Lokalverbote und zwar nicht nur in Oberwart, sondern in Lokalen im ganzen Bezirk. Jugendliche durften zwar oft die Lokale betreten, aber bekamen nichts zu trinken. Diese Zustände wurden damals öffentlich gemacht, etwa im ORF-Club-2. Da gab es dann ein wenig Einsicht seitens der Lokalbesitzer. Und man hat erkannt, dass es auch andere Probleme gibt, z.B. auf dem Arbeitsmarkt. 1988, also noch vor der Gründung von Roma-Vereinen, stand in den Computern des Arbeitsmarktservice der Satz: „Bitte keine Zigeuner vermitteln!“ Man kann sich also vorstellen, wie schwierig es war, den negativen Begriff „Zigeuner“ aus dem Bewusstsein der Mehrheitsbevölkerung zu bekommen.  

 

In den Schulen wurden Kinder aus Romafamilien großteils ausgegrenzt, bzw. in Sonderschulen abgeschoben.

Erste positive Entwicklungen brachte da die außerschulische Lernbetreuung. Und die gibt es auch jetzt noch, mit beachtlichem Erfolg. Mittlerweile gibt es bereits Studierende und Akademiker. Und besonders stolz bin ich darauf, dass es viele aus Romafamilien stammende Jugendliche gibt, die einen Lehrberuf ergreifen.

 

War es nicht so, dass die Volksgruppe der Roma ihre eigene Sprache und Kultur erst selbst entdecken musste? 

Wir haben damals zu schätzen gelernt, was für ein großer Schatz diese reiche Kultur ist. Nicht nur hier, sondern in ganz Europa. Etwa die Musik: Sie reicht von der ungarischen Roma-Musik bis zu Flamenco und Gipsy-Jazz. Das wurde im Laufe der Jahre immer mehr auch in der Mehrheitsbevölkerung präsent.

 

Wie hält man es mit der Sprache? 

Bis 1993, bevor wir mit der Kodifizierung und Wiederbelebung des Roman begonnen haben, wurde die Sprache nur mündlich weitergegeben. Eine Sprache, die ohne schriftliche Basis Jahrhunderte überlebt hat. Als reine Familiensprache wurde sie im Alltag verwendet. Wir waren uns bewusst, dass diese Sprache verschwinden wird, wenn wir nichts unternehmen. Gemeinsam mit dem Sprachwissenschafter Dr. Dieter Halwachs wurden Feldforschung und Sprachaufnahmen gemacht, es entstanden Bücher und Unterrichtsmaterial. Dadurch konnte Roman auch in schriftlicher Form festgehalten und weitergegeben werden. 

 

Eine wichtige Rolle spielen damals wie heute die verschiedenen Roma-Vereine. Gab es diese auch schon vor der gesetzlichen Anerkennung der Volksgruppe?

1989 wurde in Oberwart der „Verein Roma“ gegründet. Später kamen der „Kulturverein Österreichischer Roma“ und „Romano Centro“ in Wien dazu. Das war wichtig, weil man für den 1995 konstituierten Volksgruppenbeirat entsprechend erfahrene und kompetente Mitglieder gebraucht hat. Damals war ich ebenso bei der Konstituierung dabei wie Susi Baranyai, Rudolf Sarközi, Hugo Taubmann und Renata Erich. Mit dabei waren auch Vertreterinnen und Vertreter von Politik und Kirche. Außerdem war es von entscheidender Bedeutung, dass sich Institutionen wie die „Volkshochschule der Burgenländischen Roma“ gebildet haben. Sie ist übrigens die einzige Organisation dieser Art in Europa.  

 

Was hat sich in den Schulen verändert? 

Nach der 1993 begonnenen Verschriftlichung des Roman gab es 1999 in den Volksschulen in Oberwart und Unterwart und in der damaligen Hauptschule Oberwart den ersten Unterricht mit unverbindlichen Übungen. Da nimmt bedauerlicherweise die Zahl der Kinder ab.  

 

Hat die damalige Anerkennung der Roma als Volksgruppe an deren Diskriminierung etwas geändert?  

In vielen Bereichen leider noch nicht. Vor allem in Wirtschaft und Politik gilt es, gegen Benachteiligungen anzukämpfen. Oft wird da politisches Kleingeld gemacht und in der Folge sind viele Jugendliche nicht bereit, sich bewusst zur Volksgruppe zu bekennen. Wichtig ist die Stärkung der Identität und das gelingt uns sehr gut mit der außerschulischen Lernbetreuung. Wenn aber Kinder und Jugendliche ins Berufsleben wechseln und Familien gründen, wird es schwierig mit dem Verhältnis zur eigenen Sprache und Kultur. Man kommt damit zwar bei Festen wie zum Beispiel dem Romaball oder Roma Butschu in Kontakt, aber darüber hinaus eher nicht mehr. 

 

Ist die von den Nationalsozialisten betriebene fast vollständige Vernichtung der Volksgruppe der Roma für die junge Generation ein wichtiges Thema?  

Zur Aufarbeitung von Geschichte gehört selbstverständlich die Frage: Was ist mit unseren Vorfahren und Angehörigen passiert? Ich bin insofern davon betroffen, dass ich meine Großeltern nie kennenlernen durfte. Ich kenne von ihnen nur die KZ-Nummern von Auschwitz. Dorthin hat man beide deportiert und sie umgebracht. Es war sehr wichtig, dass die wenigen Überlebenden ihre Geschichte weitergeben. Denn was da passiert ist, darf nicht vergessen werden. Dazu haben wir das Projekt „Mri Historija“ („Meine Geschichte“) – mit auf Video aufgezeichneten Lebensgeschichten Burgenländischer Roma gestartet. Übrigens abrufbar im Internet: www.roma-service.at.

 

Welche Hauptanliegen hat man nun als Vertreter der Volksgruppe?

Da geht es gerade für die nachkommenden Generationen um Orte, wo sie ihrer verfolgten, deportierten und ermordeten Vorfahren gedenken können. In 130 Orten im Burgenland haben Roma gelebt. Diese Orte mit eigens gestalteten Denkmälern, Tafeln oder Skulpturen, wo man eine Kerze hinstellen und anzünden kann, gilt es zu errichten und Geschichte sichtbar zu machen. 25 solcher Denk- und Gedenkorte gibt es schon, es fehlen noch sehr viele. Und sehr wichtig wird in Hinkunft der Erhalt der Sprache sein. Das ist nicht nur ein lokales oder regionales Problem hier im Burgenland, sondern da fehlt es an einer gesamteuropäischen Perspektive. Ziel müsste eine standardisierte europäische Romasprache sein. Jeder Jugendliche in Deutschland, Bulgarien oder Ungarn sollte Romani studieren können und sein Studienabschluss sollte in ganz Europa anerkannt werden. Es sollten dann auch in vielen europäischen Ländern Lehrer und Lehrerinnen und auch Universitätsprofessoren und Professorinnen ausgebildet werden. Diese gesamteuropäische Initiative würde auch die Bedeutung der Volksgruppe in Europa, ihre Identität, Sprache und Kultur enorm stärken. 


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