Reportage

„Bei uns ist jeder mit jedem verwandt“

In der Vergangenheit wühlen, alte Namen und die zugehörigen Daten finden, das ist es, was Herbert Rehling aus Bad Tatzmannsdorf glücklich macht. Er ist ein Sammler und hat Daten von unschätzbarem Wert zusammengetragen und digitalisiert. Nennt man ihm einen Nachnamen aus der Region, weiß der Pensionist, woher der stammt. Seine Frau stellt er vor mit: „Helene Rehling, geborene Nicka.“ Und schon sind wir im Thema, denn sofort erklärt Herbert Rehling die verschiedenen Schreibweisen des Mädchennamens seiner Frau – und dass die Nickas eigentlich in Unterschützen beheimatet sind. Das ist es, was Genealogen tun. Sie betreiben Familienforschung, erstellen Ahnentafeln und freuen sich, wenn ein Name in ihr System passt.

Foto: Nora Schleich

Wo sind meine Wurzeln? Das will doch jeder wissen!“ Mit dieser Annahme trifft Herbert Rehling ins Schwarze, denn Familienforschung boomt. Weil er 1992 einen Urlaub in die USA plante, hat Herr Rehling seine Mutter über die ausgewanderte Verwandtschaft befragt und so begonnen, sich über seine Ahnen Gedanken zu machen.

Heute umfasst Herbert Rehlings Ahnentafel mehr als tausend Verwandte. „Ich war schnell mit dem Virus infiziert. Und wenn Sie nach Hause gehen, werden Sie es auch sein“, verspricht er und zeigt seine unglaublich umfangreiche Datenbank, die mutmaßen lässt, wie viele Stunden in diese Arbeit investiert wurden.

In einer Familiendatenbank, die momentan 195.694 Einträge beinhaltet, finden sich so ziemlich alle Namen aus der Region. Die zweite Datenbank, die Herbert Rehling angelegt hat, ist eine Auswandererdatenbank, die etwa 85.000 weitere Namen birgt. Und täglich werden es mehr. Morgens, nachmittags und abends sitzt Herr Rehling vor seinen Daten. Jeden Tag.

„Die Verwandtschaft kann man sich nicht aussuchen“

Noch vor etwa fünfzig Jahren gab es kaum Mobilität. „Die Menschen haben ihr Dorf nur selten verlassen. Liebesehen gab es kaum und hinzu kam, dass religiöse ‚Mischehen‘ verpönt waren. Eine Trennung, die bis heute Auswirkungen zeigt. So ist es ziemlich wahrscheinlich, dass alle im Dorf, außer natürlich die Zuzügler, irgendwie miteinander verwandt sind.“ Je weiter man allerdings zurückforscht, desto schwerer ist es, zuverlässige Quellen zu finden. Erinnerungen verblassen, und Daten, die nicht schriftlich belegt sind, muss man unbedingt verifizieren.

Das ist insofern schwierig, da um die Jahrhundertwende – trotz Schulpflicht seit Maria Theresia – die meisten Burgenländer und Steirer Analphabeten waren. „Sie waren Bauern und haben Lesen und Schreiben nicht gebraucht.“ Das erklärt auch, warum es kaum Quellen wie Briefe oder andere Schriftstücke aus dieser Zeit gibt. Der Geschichts-Exkurs geht weiter. „Vor 1848 gehörten die Bauern den Gutsherren wie den Batthanys, Erdödys und Esterhazys. Nach einer Revolution wurde die Leibeigenschaft aufgelöst.

Nun musste aber auch der Besitz vererbt und somit aufgeteilt werden. Zwei bis drei Generationen später waren die Gründe bereits so klein, dass nur mehr ein Sohn erben konnte. Die anderen wanderten aus, und so kam es zur ersten großen Auswanderungswelle vor dem ersten Weltkrieg.“ Seitdem haben mehr als 100.000 Menschen aus dem heutigen Burgenland ihre Heimat als „Wirtschaftsflüchtlinge“ verlassen.

Familienbanden

Die zweite Datenbank des Genealogen betrifft eben diese Emigranten. Hier kommt Herbert Rehling zugute, dass jeder Auswanderer, der ab 1880 über Ellis Island einwanderte, ein Schriftstück vorweisen musste. „Meist bekam man das vom damaligen Bürgermeister, dem sogenannten Stuhlrichter. Mit solchen ‚Fehlern‘ behaftet, dass man kreativ sein muss, um zu wissen, was gemeint ist. Cohteziegen ist da schon mal Kotezicken. Auch mit Geburtsdaten wurde oft geschummelt. Aber die Daten sind offen zugänglich und von unschätzbarem Wert“, so der Familienforscher.

Herbert Rehling sammelt die Daten, aber die Geschichten dahinter sind es, die uns fesseln. Historische und persönliche Anekdoten rund um die Ahnen. „Sie haben rosige Briefe nach Hause geschrieben, und wirtschaftlich schlechter als zu Hause konnte es den Menschen kaum gehen. Also sind ihnen Bekannte gefolgt. Die Realität war aber oft schrecklich“, leitet Herbert Rehling ein und taucht ein in eine weitere Chronik voller Namen, Daten und Geschichten.


Familienforscher Herbert Rehling

In fünf Schritten zur Ahnentafel

Meist beginnt die Suche mit alten Geschichten und Fotos sowie Dokumenten aus der Schublade. Auch Grabinschriften erweisen sich oft als nützlich. Danach kann man beginnen, Behörden wie Standesämter und Gemeinden zu kontaktieren und Kirchenbücher einzusehen. Dort liegen Daten zu Geburten, Ehezeugnisse und Sterbeurkunden auf. Geburtsbücher sind übrigens 100 Jahre gesperrt, das heißt alles vor 1920 ist frei zugänglich.

Die Zivilmatriken auf Gemeinden gibt es im Burgenland erst seit 1895, in der Steiermark gar erst ab 1938. Kirchenbucheinträge reichen weiter zurück. Je weiter man in die Vergangenheit forscht, umso genauer muss man sein. Digitale Ahnentafeln wie www.ahnenblatt.de können kostenlos heruntergeladen werden. Von einigen anderen, wie ancestry.com, rät Herr Rehling ab.

Wer nach Namen sucht, ist auf familysearch.org richtig. Diese Website empfiehlt Herbert Rehling wärmstens. „Diese Software wird von Mormonen (von der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage) weltweit betrieben und bietet gratis Zugang zu Daten. Hier findet man fast alles an genealogischen Aufzeichnungen, und es gibt Suchfunktionen in jede Richtung.“

Herbert Rehling hat weitere Tipps auf Lager. „Forsche immer nur von Generation zu Generation. Latein, Ungarisch und Kroatisch sollte man bei uns ebenfalls beherrschen. Auch alte Schriften muss man lesen lernen.“


Schreibe einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

5 Antworten

  1. Herbert Rehling:
    Wenn ich die Fertigstellung schaffe, veröffentliche ich im nächsten Jahr Teile meiner Auswanderer-Datenbank, sozusagen als mein Geschenk zum Jubiläumsjahr 100 JAHRE BURGENLAND.
    Wer Interesse hat, kann dann vielleicht zum ersten Mal feststellen, ob Bekannte / Verwandte aus seinem Ort emigriert sind – und mit einigem Weiterforschen und dem nötigen „Forscherglück“ sogar deren Nachkommen in der Fremde aufspüren …
    Ich selbst habe durch meine Tätigkeit zahlreiche Verwandte gefunden, vorwiegend in den USA, und zu vielen haben sich inzwischen enge Beziehungen ergeben, zur großen Freude nicht nur für uns, sondern vor allem auch für unsere neu entdeckten Verwandten in Übersee. Viele von ihnen sind seit Jahren auf der Suche nach ihren familiären Wurzeln, ihren „Roots“ …

  2. Ein paar Details, die nicht stimmen:
    1. Die Bauern in Oberwart und Unterwart waren seit dem Mittelalter freie Bauern (sogenannte Grenzwächter) und waren keinem Gutsherrn unterstellt, auch nicht den Erdödys. Deshalb konnten sie ihren Besitz auch weitervererben. Nach 1848 behielten sie ihr „nemes“ (=kleinadeliges) -y im Namen bzw. wurde ein kleines -n (für nemes) nach dem Familiennamen hinzugefügt.
    2. Sie konnten auch lesen und schreiben, sie gingen 6 Jahre (weil zur ungarischen Reichshälfte gehörend, die Steirer z.B. 8 Jahre) in die damalige Volksschule.

    Ich weiß nicht, warum Herr Rehling von ancestry.com abrät, ich habe damit gute Erfahrungen gemacht und den Tod eines Großonkels herausgefunden.

  3. Sehr geehrter Herr Rehling, arbeite gerade an der Geschichte unseres kleinen Ortes St. Kathrein und bin bezüglich Auswanderer auf ihren Namen gestossen. Dazu zwei Fragen
    1)- haben sie die Auswandererdatei schon fertig bzw. wann veröffentlichen sie ihre Daten
    2) kann ich die Auswandererliste von St.Kathrein irgendwie bekommen – ich bin auch bereit dafür etwas zu bezahlen?
    Ich bearbeite gerade auch die Namen aller Bewohner bzw. deren Vorgängergenerationen soweit möglich aller Häuser und bin in diesem Zusammenhang eben auch auf die Aus- und Rückwanderer gestossen – zumind. laut mündl. Aussagen.
    Deshalb wäre ein Vergleich mit ihren Daten recht interessant – warte auf ihre Antwort