Reportage

Der Charme eines alten Bürgerhauses

Kaindorf 58, das „Sommer-Schneider-Haus“, wie es im ortsüblichen Jargon heißt, ist ein altes Bürgerhaus aus dem 17. Jahrhundert. Derzeit wird es restauriert und ab Spätherbst über die Gemeinde Kaindorf als Co-Working Space genutzt und weitervermietet.

(c) Olga Seus

Das denkmalgeschützte Haus „Kaindorf 58“ heute.

 

Tag des Denkmals 2022: Statt der derzeit üblichen Baustellenutensilien stehen Getränke und kleine Snacks bereit, statt des sonstigen Absperrzauns und des dazugehörigen Minibaggers vor der Tür ist ein Plakat angebracht, das auf die Bedeutung des denkmalgeschützten „Kaindorf 58“ hinweist. Ein Gebäude, das seinen Charme erst auf den zweiten Blick versprüht, doch dafür um so nachhaltiger. Der Steinboden direkt hinter der Tür ist frisch diagonal verlegter Solnhofer Naturstein, wie Markus Gaugl, der zuständige Architekt vom Büro „Plankreis“ geduldig den vielen interessierten Besucher*innen erklärt. Doch die Türen, die Türstöcke, die Wände – inklusive Stuck – das ist alles alt, ebenso die Farbauswahl, die zwar neu, aber der alten, rekonstruierten Farbgebung nachempfunden ist. Die neue Möblierung in einladendem Holz gehalten, lenkt einen zunächst ab, das wahre Alter der Wände, innerhalb derer man sich befindet, zu fühlen. Doch ein Blick zum Hinterausgang belehrt sogleich: So dicke Wände werden heutzutage nicht mehr gebaut. „Die Baustruktur ist top und die Wärmeisolierung ist bestens“, so Gaugl. Viele Kaindorfer*innen kennen das Gebäude am Ortseingang, das „im Zusammenspiel mit der Kirche und dem alten Pfarrhof eine repräsentative Einheit bildet, die 1980 zum Denkmalschutz dieses Gebäudes geführt hat“, erklärt Günter Gollner, ebenfalls von Plankreis und bestens mit den Restaurierungsarbeiten vertraut. Im 17. Jahrhundert erstmals erwähnt, wurde um 1810 die Fassade in ihrer heutigen Gliederung hergestellt. Lange gehörte es der Familie Sommer, die dem Schneidergewerbe nachging, deswegen der in Kaindorf gebräuchliche Name „Sommer-Schneider-Haus“. Als der letzte Nachfahre 2015 über hundertjährig kinderlos verstarb, erwarb die Familie Gotthardt das Gebäude und ließ es die letzten eineinhalb Jahre in enger Abstimmung mit dem Denkmalschutz generalsanieren. 

Stück für Stück restauriert

Tapeten wurden abgetragen, die auch für die damalige Zeit aufwendigen Füllungstüren und Türstöcke abgeschliffen, die Stuckaturen an der Decke von Übermalungen freigelegt. Die Holztreppe, die mit einem PVC-Boden überzogen war, wurde ebenfalls freigelegt und wo sie zu abgenutzt war, behutsam mit passenden Holzelementen fachgerecht instandgesetzt. Grundsätzlich wurde nicht alles auf den Stand des 17. Jahrhunderts zurückgesetzt. Die Fenster etwa sind aus den 1980er-Jahren, die Raumaufteilung wurde nicht verändert, lediglich Sanitärräume als „Nasszellen“ eingebaut. Die Kamine wurden als Installationsschächte genutzt. Das Haus wurde an die Fernwärme angeschlossen und das Dach neu eingedeckt.

Nasse Überraschung im Keller

Dachboden und Keller wurden nicht saniert. Im Keller gibt es allerdings eine Besonderheit: ein gemauertes Becken, durch das der Dorfbach fließt und das zur Kühlung von Getränken und Lebensmitteln genutzt wurde. Bei der Sanierung wurde im Keller die Haustechnik und Fernwärme angeschlossen und die Heizrohre mit den Installationen versehen. Dabei stieß man auf das alte Becken. „Nur mit Taschenlampen bewaffnet gingen wir anfangs in den Keller hinab und da kommt gleich neben dem Eingang das besagte Becken. Der Erste von uns wäre tatsächlich fast unfreiwillig baden gegangen“, erinnert sich Günter Gollner schmunzelnd an eine der vielen Begebenheiten.

Vom Bürgerhaus zum Co-Working-Space

Jetzt ist es nahezu fertig und kann auch endlich wieder genutzt werden. Im oberen Stockwerk ist das Humus Aufbau-Projekt der Ökoregion Kaindorf angesiedelt, im unteren Bereich sind Co-Working-Spaces, flexibel mietbare Büroeinheiten, untergebracht. Markus Gaugl resümiert zufrieden: „Ich denke, dass wir Kaindorf 58 gut in die Neuzeit transformiert haben.“


Ausführende Firmen

Geplant und beaufsichtigt wurden die Renovierungsarbeiten vom Architekturbüro Plankreis in enger Zusammenarbeit mit Ing. Schaunigg, welcher die Befundung für das Denkmalamt vornahm. Die Außenfassaden wurde von Bretterklieber Hoch- & Tiefbau GmbH und Malerei Herbsthofer instandgesetzt (ebenso Malerarbeiten im Innenbereich), Hochegger Dächer übernahm Dachausbesserungsarbeiten und Zach Gebäudetechnik die Installations- und Elektroarbeiten. Die Tür-, Stiegen- und sonstigen Holzrekonstruktionsmaßnahmen kamen von der Kunsttischlerei Andreas Hirt, die Stuckarbeiten besserte Ing. Schaunigg aus, die Holzböden kamen von Parkett Putz, der Steinboden von Firma Mörz. Laschalt Steine ist verantwortlich für die Außenstiege – die aus einem besonderen Granit besteht, die Schlosserarbeiten wurde von der „Reichl-Schmiede“ fachmännisch durchgeführt.


Die behutsam restaurierte Treppe.

Das Becken im Keller wird auch heute noch zur Kühlung von Getränken benutzt.

Einer der Co-Working Spaces. Man kann hier auch gut die aufwendig gearbeitete Füllungstür sehen.

Der große Konferenzraum im ersten Stock, man kann gut die Stuckverzierung an der Decke erkennen. Die moderne Möblierung passt sich dem vorgegebenen Farbkonzept der Türen und Fensterrahmen an.

Blick von hinten auf das Haus.

Zusammen mit der Kirche und dem Pfarrhof bildet Kaindorf 58 ein historisches Ensemble.

Das Sommer-Schneider-Haus liegt prominent am Ortseingang.

Kajetan Mariensäule: Auch in alten Kaindorfer Ansichten ist schon die heutige Fassadengliederung zu erkennen

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