Chiara Pieler / 3. Juli 2025
© Chiara Pieler
Jeden ersten Mittwoch im Monat sorgt Carina Krenn vom Friseursalon ‚Wickerl‘ gemeinsam mit ihrer Kollegin und ihrem Chef im Sonnenmarkt der Volkshilfe Burgenland in Oberwart für frische Haarschnitte – kostenlos und mit Herz.
Der Gang, in dem sich normalerweise Getränkekisten stapeln, ist zum improvisierten Salon geworden. Zwei Sessel, Umhänge, Scheren, Bürsten – alles ist da. Es duftet nach Haarspray und Kaffee, der aus dem Sonnencafé herüberdringt. Die Atmosphäre ist freundlich, herzlich, fast familiär. Ein Lächeln hier, ein Schulterklopfen da. Schon vor neun Uhr stehen die ersten Kund:innen bereit. Der Andrang ist groß, das Interesse riesig.
„Ich hab mir gedacht, ich schneid einfach drauflos“, sagt Friseur Wickerl und lacht. „Aber nein – wir haben Termine vergeben, im Viertelstundentakt, sonst wär‘ das heute nicht gegangen.“ Die Idee zu dieser Aktion kam aus der Familie – seine Tochter brachte den Stein ins Rollen. „Wir haben sofort gesagt: Machen wir etwas“, ergänzt Carina Krenn. Und weiter: „Ein Haarschnitt kann viel verändern – er kann Menschen wieder aufrichten.“
Kaffee und Lebensgeschichten
Tobias ist vielleicht der jüngste Kunde an diesem Tag. Der Achtjährige ist mit seiner Oma extra aus Oberpullendorf gekommen. Er ist ruhig, fast schüchtern, als er sich auf den Stuhl setzt. Nach wenigen Minuten leuchten seine Augen im Spiegelbild. „Du schaust super aus“, sagt Pimperl und Tobias strahlt.
Wenig später nimmt eine Frau aus Pinkafeld Platz. Sie ist ursprünglich aus Deutschland, lebt in einer Wohngemeinschaft und hilft regelmäßig bei Fahrdiensten im Rahmen von „Nachbarschaftplus“. Ihre Freundin, die sie an diesem Tag begleitet, ruft aus dem Off: „Mensch, wie schön, dass ihr das macht!“ Carina Krenn schneidet konzentriert, lächelt. Es ist dieser eine Satz, der hängen bleibt. Wie schön, dass ihr das macht.
Nicht jede Geschichte an diesem Tag ist leicht. Eine Kundin kommt verspätet, entschuldigt sich sofort: „Ich komme gerade vom Gewaltschutzzentrum.“ Sie erzählt, dass sie von einem alkoholisierten Mann angegriffen wurde. Ihre Stimme ist leise, aber bestimmt. Und als sie wenig später den Raum mit frischer Frisur verlässt, wirkt sie ein kleines Stück befreiter. „Heute schneiden wir den ganzen Ballast runter“, hatte Krenn zu Beginn des Tages gesagt – und hier scheint das mehr als nur ein Spruch zu sein.
„Weil wir zwei Hände haben“
Auch ein Mann aus Rotenturm ist gekommen. Er beobachtet das Geschehen eine Weile und fragt schließlich: „Warum tut ihr euch das an?“ Carina Krenn antwortet, ohne zu zögern: „Weil wir zwei Hände haben. Und weil wir mit ihnen arbeiten können. Es ist unsere Leidenschaft.“ Genau darin liegt die Kraft dieses Projekts: Im freiwilligen Tun. Im Nicht-Wegschauen. Im Menschen-Sehen. Verena Dunst, Präsidentin der Volkshilfe Burgenland, ist sichtlich berührt. „Für mich war das wie Weihnachten und Ostern zusammen“, sagt sie über die Idee, mit dem Friseurangebot Menschen mehr Würde zu schenken. „Wir wissen, dass es viele gibt, die sich einen Friseurbesuch einfach nicht leisten können. Hier bekommen sie nicht nur einen Haarschnitt, sondern Aufmerksamkeit und Zuwendung.“
Mehr als 400 Menschen und ihre Familien kaufen regelmäßig im Sonnenmarkt ein. Sie alle leben mit wenig Geld, mit Einschränkungen, mit Sorgen. Ein Friseurbesuch ist für viele schlicht ein Luxus. Doch die Reaktionen an diesem Tag zeigen: Die neue Frisur ist mehr als kosmetisch. Sie gibt Halt, stärkt das Selbstbild, schenkt ein bisschen Normalität.
Eine Frisur, die nachwirkt
Die Resonanz auf die Aktion ist überwältigend – bei Kund:innen wie auch bei den Organisator:innen. Inzwischen haben mehr als 25 Kundinnen und Kunden bei dieser besonderen Aktion einen Haarschnitt erhalten. Neben Pimperl und Krenn ist inzwischen auch Elsa Konrath als Friseurin mit an Bord. Anfangs war die Teilnahme noch zögerlich, viele hatten Scheu, das Angebot in Anspruch zu nehmen. Doch diese ist längst verflogen. Immer mehr Menschen melden sich für einen kostenlosen Schnitt an – und mit jedem Termin wächst nicht nur die Zahl der neuen Frisuren, sondern auch das Vertrauen.
So endet mittlerweile jeder erste Mittwoch des Monats im Sonnenmarkt mit neuen Frisuren, Begegnungen und dem leisen Versprechen: Wir sehen einander. Wir nehmen uns Zeit. Und wir wissen – ein einfacher Haarschnitt kann mehr verändern, als man denkt.

Volkshilfe Burgenland-Präsidentin Verena Dunst besuchte den Friseursalon Wickerl in Kemeten und gratulierte Carina Krenn (l.), Elsa Konrath und Wickerl Pimperl herzlich dazu, bereits mehr als 25 Kund:innen im Sonnenmarkt Oberwart mit einem Gratis-Haarschnitt betreut zu haben.
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