Hartberg: Das Haus, das weiterlebt

Michaeligasse 10, Hartberg. Ein unscheinbares Barockhaus, angebaut an die alte Stadtmauer, über Jahrhunderte bewohnt, verbaut, vergessen. Bis Simon Brugner kam – ein Künstler, der kein Haus gesucht hat und doch eines fand, das ihn seitdem begleitet. „Ein Haus, das einem sagt, wie es weitergeht“, sagt er.

Nicole MATSCH / 29. Oktober 2025

Im Hof und in den Innenräumen finden im Rahmen des „Steirischen Herbst“ verschiedene Kunstperfomances statt. „Haus lebt“ in Hartberg wird ein Festivalzentrum für ein buntes Publikum. 

Brugner ging in Hartberg zur Schule. Er kennt das Haus von früher – eines jener stillen Gebäude, an denen man vorbeigeht, ohne sie wahrzunehmen. Eines Tages hing plötzlich ein Zettel im Schaufenster. Der Preis war unglaublich niedrig. „Deutlich unter 100.000 Euro. Wir haben es gesehen, sind reingegangen – und wussten: Das hat etwas“, erinnert er sich. Kein Plan, kein Projekt, eher ein Impuls. Heute ist daraus Haus lebt geworden – ein temporärer Kunstraum, eine Mischung aus Atelier, Baustelle, Bühne, Kulturort und Lebensraum. 

Ein Haus legt sich frei

Als Brugner das Gebäude zum ersten Mal betrat, war es vollgestellt mit Möbeln, Unrat – alles dicht, alles zu. Das Haus steht unter Denkmalschutz, was viele abschreckte. Für den Fotokünstler war es ein Anreiz. „Wenn man anfängt, versteht man schnell, was wohin gehört“, sagt er über den Prozess der sanften Renovierungen und Rückbauten. Gemeinsam mit Freunden begann er, Schicht um Schicht abzutragen – vorsichtig, ohne zu zerstören. Unter Putz und Beton kamen unterschiedliche Bodenniveaus vergangener Jahrhunderte und Spuren des Stadtbrands von 1715 zum Vorschein, im Hof ein Natursteinpflaster, das jahrzehntelang verborgen war. Und weiter unten: der verfestigte Sand eines Urmeerstrands, 13 Millionen Jahre alt. „Wenn man sich Zeit lässt, merkt man, dass man gar nicht so viel machen muss“, sagt Brugner. „Das Haus zeigt selbst, was bleiben will.“

Schicht für Schicht Geschichte

Das Haus in der Michaeligasse 10 ist eines der ältesten Bürgerhäuser der Stadt. Ursprünglich im Barock als Tuchschererhaus errichtet, entstand es nach dem Stadtbrand von 1715 in Teilen neu, mit Mauern, die noch heute von der Hitze jener Nacht erzählen. 

Bei Handwerkshäusern dieser Zeit dienten die Gewölbe im Erdgeschoß als Werkstatt, darüber lebten Handwerkerfamilien. Ein alter Ofen erinnert noch an die Zeit, als das Haus um 1900 zum Bäckerhaus wurde und hier Brot gebacken wurde. Über der Tür wachen zwei Heiligenfiguren – und die heilige Elisabeth, die anstelle eines Brots eine Langsemmel in der Hand hält. Eine kleine steirische Eigenheit, die Simon Brugner schmunzeln lässt. 

Ab den 1950er-Jahren wurde das Haus zu einem Geschäftshaus, im 21. Jahrhundert stand es dann zunehmend leer – ein Beispiel dafür, wie sich die Stadt rundherum veränderte, während das Haus blieb. Bevor es endgültig leer stand, beherbergte es einen Frisiersalon und einen Handyshop. 

Wohnraum mit Geschichte

Der erste Stock, früher eine Ferienwohnung, ist heute der Rückzugsort der Familie. Tassen klappern, der Geschirrspüler läuft – ja, er hat von Anfang an funktioniert. Ein leises Zeichen dafür, dass hier nicht nur Kunst passiert, sondern auch Alltag. Brugner, seine Partnerin und das Kind verbringen viele Wochenenden in Hartberg, unter der Woche leben sie in Wien. „So lernt man das Haus wirklich kennen.“ Unten werden Veranstaltungen vorbereitet, oben wird gekocht, geschlafen.

Vom Projekt zum Gegenüber

Im Sommer kommen Freunde, Künstler, um hier zu leben und zu arbeiten. Im Rahmen des „Steirischen Herbst“ verwandeln Performances, Installationen, Musik, Lesungen und Begegnungen den historischen Hof in ein Festivalzentrum für ein buntes Publikum. „Vom Milchbauern bis zur 90-jährigen Nachbarin kommt jeder, den es interessiert“, freut sich Brugner. Die Bretterbühne, die minimalistisch von einem Scheinwerfer beleuchtet wird, hat er mit einem Freund gebaut – aus den Resten eines Filmsets. „Das hat uns nichts gekostet, nur die Arbeitszeit.“ Brugner schaut sich im Hof um und lacht: „Viele sagen, hier schaut es aus wie in Italien. Aber eigentlich ist es einfach echt.“ Unebene Böden, offene Balken, Risse – nichts ist glatt, nichts ist fertig. Und genau das macht den Ort lebendig. Alles darf funktionieren, bevor es vollendet ist. „Man muss nicht warten, bis etwas fertig ist, um es zu verwenden“, betont er mehrfach.

Ein Haus, das antwortet

Manchmal wirkt es, als würde das Haus selbst entscheiden, wie es weitergeht. Brugner beschreibt es fast beiläufig, aber man spürt, dass er das ernst meint. „Beim Tun ergibt eins das Nächste. Man merkt, was das Haus will.“ Statt einem Sanierungsplan folgt er der Logik des Materials: Was trägt, darf bleiben. Was sich wehrt, bleibt unangetastet. So wurde „Haus lebt“ zu einem Ort, an dem Geschichte, Kunst und Alltag ineinandergreifen. 

Ein Haus, das lange schwieg, erzählt weiter – Schicht für Schicht – es lebt.

Person im Garten hält großen Stein vor historischem Gebäude mit Backsteinfassade und Pflanzen, für Prima Magazin fotografiert.
Künstler Simon Brugner lebt in und mit dem Barockhaus, das er aus einem Impuls heraus erwarb. Das Herzstück ist der Hof, in dem er mühevoll historisches Natursteinpflaster freilegte. Weiter unten kam der verfestigte Sand eines 13 Millionen Jahre alten Urmeerstrandes zum Vorschein. Fotos: Nicole Matsch

Historische Altstadtgasse mit charmanten Fassaden, perfekt für einen Artikel im Prima Magazin über regionale Architektur.
Geselliges Treffen im begrünten Innenhof bei einem regionalen Event, Gäste unterhalten sich entspannt bei Getränken und kleinen Speisen.
© Hilde Swider

Lebendiger Geschichtsort, Baustelle, Kunstprojekt, Wohnraum, Treffpunkt: „Haus lebt“ in der Michaeligasse in Hartberg.

Digitales Architekturmodell eines Hauses in Schwarzweiß, zeigt Strukturdetails und Inneneinrichtung, passend zu einem regionalen Magazin.
In Barockhäusern wie diesem dienten die Gewölbe im Erdgeschoss als Werkstätten; oben lebten die Handwerker­familien. Heute nutzt Simon Brugner mit seiner Familie die Räumlichkeiten im ersten Stock als Wochenend-Wohnung. Foto: Simon Oberhammer

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