Reportage

Mein Künstler des Jahres 2019

Das ganze Leben ist ein Soundtrack – so sieht es zumindest Laura Weingrill. Zum Jahreswechsel blickt die Musikjournalistin noch einmal zurück und kürt ihren ganz persönlichen musikalischen Favoriten: Lewis Capaldi.

Foto: zVg

LEWIS Capaldi ist für Laura Weingrill der Künstler des Jahres 2019. Die in England lebende Musikjournalistin hat ihn dort auch zum Interview getroffen.

 

Er ist 23 Jahre alt, lebt noch bei seinen Eltern im schottischen Whitburn in einem Schlafzimmer mit New York Tapete und bezeichnet sich selbst gerne mal als die „schottische Beyoncé“. Das mag ja alles recht witzig klingen, interessant ist aber was anderes. Doch hinter der Mauerblümchen-Fassade steckt noch mehr, denn Lewis Capaldi ist aktuell eines der beeindruckendsten Popphänomene weltweit und ist nicht nur aufgrund seines Talentes, sondern gerade wegen seiner Normalität und Nahbarkeit mein Künstler des Jahres 2019.

Doch wie genau kam es dazu? Manchmal genügt schon ein einziger Song, um eine Welle auszulösen, die nicht mehr haltbar ist. Das weiß auch der sympathische Singer-Songwriter, spätestens seit er vor zwei Jahren seinen Welthit „Bruises“ – damals noch ganz ohne Label und Management – im Internet veröffentlichte und so geradezu über Nacht zu einem der größten Stars der heutigen Generation wurde. Seither wurde das Stück über 200 Millionen mal auf Spotify angehört und konnte nur durch den absoluten Erfolg seines im Mai dieses Jahres veröffentlichten Albums „Divinely Uninspired To A Hellish Extent“ übertroffen werden.

Innerhalb kürzester Zeit schnellte die Platte an die Spitze der Charts und galt in Großbritannien für einige Monate als das am schnellsten verkaufte Album des Jahres – nur Ed Sheeran mit seinem „No.6 Collaborations Project“ konnte ihn vom Thron stoßen. Und wer den wahrscheinlich größten Hit des Jahres „Someone You Loved“ bis jetzt noch nicht kennt, gehört wohl zu den wenigen Menschen, die konsequent kein Radio hören.

Einblicke

Doch natürlich sind ausverkaufte Touren, US-Nummer-Eins-Hits und Klickzahlen im Hundertmillionen-Bereich nicht alles. Wie auch, denn so viele Kommastellen der Erfolg auch haben mag, ohne das nötige Talent ist jeder Aufstieg schnell mal wieder vorbei. Ganz zu Capaldis Glück, denn gerade davon hat der Schotte mit dem ulkigen Humor zur Genüge.

Im Kontrast zur selbstironischen Scherzkeks-Persona, die nicht davor schreckt, sein Tinder-Profil als Werbegag auf die Mauern Londons zu pflastern, erlebt man in seinen Songs plötzlich einen Sad Boy mit Liebeskummer, wie er im Bilderbuch steht. Und dabei reden wir nicht von den üblichen zwei bis drei Trennungs-Hymnen – ganz im Gegenteil, denn Lewis bringt ein gesalzenes Herzschmerz-Epos mit sich, samt zerbrechlicher Engelsstimme und einem Facettenreichtum, wie man es nur selten findet.

Erfolgsgeheimnis

Es ist dieser Mix aus Normalität, Witz und Superstar-Stimme, der den Sänger so hervorstechen lässt wie schon lange keinen anderen. Zu verdanken hat er das in erster Linie seinem umwerfenden Talent und seiner großen Stimme, ein bisschen aber auch seiner Nahbarkeit und seinem Meme-Potenzial.

Er hat verstanden, wie die Branche funktioniert und wie man am besten auf sich aufmerksam macht. Er photobombt gerne mal Interviews auf roten Teppichen, trägt ironisch viel zu kleine Sonnenbrillen und scheint sich selbst nie wirklich zu ernst zu nehmen. Ganz zur Freude der Musikwelt, die ihn gerade deswegen nur zu gerne hört, sieht und liebt.

So schnellt der Stern von Lewis Capaldi weiter und weiter nach oben. Und wenn wir uns ehrlich sind, er müsste schon einiges falsch machen, um es nicht ganz nach oben zu schaffen.

www.thatlemonlife.blog


Laura Weingrill
Für Laura Weingrill ist das Leben ein Soundtrack. Monatlich schreibt sie in prima! die Kolumne Soundnerd.

Musikjournalistin Laura Weingrill stammt aus Bad Tatzmannsdorf und lebt derzeit in England.

Mein musikalisches Jahr 2019

Gegen Ende eines weiteren Jahres müssen wir uns erneut mit dem Phänomen auseinandersetzen, dass die Zeit äußerst langsam und gleichzeitig erschreckend schnell vergeht. Alles passiert plötzlicher und vergeht wie im Flug, wovon auch die Musik nicht die Ausnahme ist. Kaum vorzustellen, wie viele Alben und Songs dieses Jahr herausgebracht wurden. Wie viele davon geliebt, auf Spotify oder iTunes Playlisten gespeichert oder sogar live von einem ganzen Publikum lauthals mitgesungen wurden.

Wir leben in einer Zeit, in der unser unglaublicher Zugang zu Musik sowohl ein Segen als auch ein Fluch ist. Aber trotz der unfassbaren Menge an Möglichkeiten, gibt es die einen oder anderen Platten und Tracks, die uns das ganze Jahr wie ein liebevoller Schatten verfolgen. Die uns in Erinnerung geblieben sind und die wir immer wieder gerne im Ohr haben. Das sind die Songs, die für jede und jeden einzelnen das Jahr 2019 ausmachen. Und das hier ist meine ganz persönliche Liste. Das ist mein musikalisches 2019. Wie schön es doch war.

Die Platte macht den Unterschied

Alben – sie können so vieles sein. Geschichten. Kunstwerke. Oder einfach nur umwerfend spannende Zusammenkünfte von Liedern, die gemeinsam zu etwas fantastischem werden. Und auch das Jahr 2019 hatte viele dieser glänzenden Longplayer zu bieten. So begann alles im März mit der amerikanischen Band Wallows gleich einmal mit ihrem umwerfenden Debut „Nothing Happens“, das allen Indie-Pop-Fans dieser Welt wohl noch sehr lange in den Gedanken und vor allem in den Playlisten herumschwirren wird.

In den Sommermonaten folgten diesem das posthume Album „TIM“ des verstorbenen DJs Avicii, auch bekannt als Tim Bergling, sowie die granatenhafte Collab-LP „No.6 Collaborations Project“ des Singer-Songwriters Ed Sheeran. Und ganz im Sinne der Liebe zu der Gattung Indie vollendeten die unfassbar schönen und facettenreichen Alben „Now, Not Yet“ von half•alive und „Philophobia“ von Amber Run das Jahr für mich auf die wundervollste Art und Weise.

Meine Top 5 Alben des Jahres:

  1. Amber Run – Philophobia
  2. Wallows – Nothing Happens
  3. Ed Sheeran – No.6 Collaborations Project
  4. half•alive – Now, Not Yet
  5. Avicii – TIM

Songs soweit das Ohr reicht

Mal kann schon mal in Panik geraten, wenn man kurz vor dem neuen Jahr steht und in der Songs-des-Jahres-Playlist noch immer gähnende Leere herrscht. Kein Wunder, denn bei den etwa 105 Millionen Stunden an Musik, die heutzutage zur Auswahl stehen kann es schon mal schwierig werden, nur die besten und liebsten Tracks auszuwählen.

Doch so schwer es auch sein mag, am Ende ist es schön zu wissen, welche Songs letzten Endes 2019 zu dem Jahr machten, das es nun mal war. Für mich stechen bei dem Gedanken vor allem Bombay Bicycle Club’s phänomenaler Comeback-Track „Eat, Sleep, Wake (Nothing But You)”, Ed Sheeran Überhit „Antisocial“, featuring Travis Scott, sowie Wallows wundervolle Indie-Symphonie „Just Like A Movie“ hervor. Aber natürlich ist das nicht alles.

Darüber hinaus beschenkten unter anderem die Bands Inhaler, Amber Run, HalfNoise und der Sänger Lewis Capaldi (ebenfalls mein ganz persönlicher Künstler des Jahres) die Welt mit Musikwerken, bei denen ich immer wieder nur zu gerne auf Play drücke. Und das wird sich auch 2020 so schnell nicht ändern.

Meine Top 10 Songs des Jahres:

  1. Bombay Bicycle Club – Eat, Sleep, Wake (Nothing But You)
  2. Ed Sheeran ft. Travis Scott – Antisocial
  3. Wallows – Just Like A Movie
  4. Amber Run – What Could Be As Lonely As Love
  5. half•alive – RUNAWAY
  6. Inhaler – Ice Cream Sundae
  7. Avicii ft. Vargas & Lagola – Excuse Me Mr Sir
  8. Lewis Capaldi – Headspace
  9. HalfNoise – Boogie Juice
  10. Indoor Pets – Pro Procrastinator

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