Reportage

Säckeweise Spucke

Seit Wochen prägt uns eine Alltagshandlung wie keine andere: das Corona-Testen. Egal, ob per Schnelltest im Wohnzimmer oder nach geduldigem Anstellen im Testzentrum: „Nicht nachgewiesen“ sind die Zauberworte, die uns das unbeschwerte Zusammensein ohne akute Ansteckungsgefahr ermöglichen. Als zuverlässigstes Verfahren gilt allerdings der PCR-Test und der muss wiederum von Profis im Labor durchgeführt werden, was sich natürlich in der Zeitspanne zwischen Probenabgabe und Übermittlung des Ergebnisses auswirkt. Denn da heißt es oft warten. Zu lange, wie immer wieder bemängelt wird. prima! hat einen Blick hinter die Kulissen eines zuständigen Diagnostikzentrums geworfen.

Foto: zVg

Es ist 17 Uhr. Die Fahrer der Nachmittagstour sind gerade dabei, das Konvolut aus abgegebenen Probenröhrchen im Labor in Graz anzuliefern. Säckeweise. Bis zu 25.000 Gurgel-Proben werden hier täglich werktags ausgewertet, 10.000 aus dem Burgenland und 15.000 aus der Steiermark, die zuvor in den Apotheken oder einem der Spar-Supermärkte in die Sammelbox eingeworfen wurden. Die Fuhr am Nachmittag ist immer die größere der beiden Lieferungen. Die Nachtschicht ruft also, und sofort macht sich die junge Mannschaft aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern daran, den Lieferberg an Speichelproben auszupacken, zu scannen und zu „poolen“.

Stundenlange Auswertung

„Aufgrund der Vielzahl der Proben wird das ‚Pooling-Verfahren‘ angewandt“, schildert Laborkoordinatorin Dr. Jennifer Blauensteiner. Seit Dezember koordiniert sie die Zweigstellen des Zentrums der molekularen Diagnostik in Graz und Dornbirn. Ersteres musste binnen kürzester Zeit von einem kleinen mobilen „Lab Truck“, in ein großes Labor siedeln, um den gewaltigen Bedarf an schnellen SARS-CoV-2-Testergebnissen zu stemmen. „Beim sogenannten Pooling werden Auszüge von mehreren Proben zusammengemischt. Sollte diese Sammel-Probe negativ bleiben, bekommen alle Testpersonen ein negatives Ergebnis zugestellt, was eine erhebliche Zeitersparnis bedeutet, besonders, wenn man Tausende Tests abarbeiten muss. Bei den derzeitigen Inzidenzen ist dieses Schnellverfahren aber häufig nicht zielführend. Sollte die Sammel-Probe positiv ausfallen, müssen alle betreffenden Proben des Pools von neuem einzeln analysiert werden, um die positive Testperson herauszufiltern. Und das verzögert den Ablauf“, beschreibt die Expertin diesen Analyse-Prozess, der oft die zeitlichen Kapazitätsgrenzen erreicht, da er schon im schnellsten Fall – und ohne „Pool-Auflösung “ – dreieinhalb Stunden Minimum dauert. Und der generell äußerst komplex ist. Denn die Vorgehensweise, vom Isolieren der RNA, damit sie in DNA umgeschrieben werden kann, um die PCR-Diagnostik zu durchlaufen und letztendlich den Nachweis des Erbmaterials des Corona-Virus zu erbringen, das erfordert schon ein Studium der Biomedizinischen Analytik oder eines verwandten Fachs der Life Sciences.

Willkommene Berufspraxis

„Früher hatten Studentinnen und Studenten der molekularen Biologie eher schlechte Chancen, in Laboren die nötigen Praktikumsplätze zu bekommen“, betont Dr. Jennifer Blauensteiner diesen kleinen positiven Aspekt der Corona-Krise. Denn Arbeitsplätze im Labor gibt es derzeit genug. Die Tätigkeit in den PCR-Diagnostikzentren würde nachhaltig die Praxiserfahrung eines ganzen Berufszweigs stärken, der stets für die Erforschung und Analyse auch aller zukünftiger Krankheiten wesentlich ist. Der derzeitige Berufsalltag sei allerdings eine Belastungsprobe aufs Exempel: „Der Tag-und-Nacht-Schichtbetrieb und die hohe Kapazitätsauslastung sowie der Zeitdruck sind natürlich gravierende Herausforderungen“, erzählt Dr. Jennifer Blauensteiner, die auch mit Kritik an verspäteten Testergebnissen konfrontiert wird.

„Jede Probe ist gleich wichtig“

Wenn bei einer ohnehin grenzwertigen Auslastung dann noch Krankenstände und Geräteausfälle dazukommen, wären Verzögerungen unvermeidlich. „Das ist dann natürlich eine Katastrophe“, sagt sie offen. „Wir bekommen Anrufe über Einzelschicksale, wofür das verspätete Ergebnis dringend benötigt wird. Und es geht einem natürlich sehr nahe, wenn man hört, dass es zum Beispiel für eine Chemotherapie gebraucht worden wäre. Aber es ist nebensächlich, wofür der Test gemacht wurde. Jede Probe ist gleich wichtig. Wir geben unser Bestes, um alle Verzögerungen zu verhindern. Wir haben selbst doppeltes Interesse daran, die versprochenen 24 Stunden einzuhalten, da uns erstens die Kundenzufriedenheit wichtig ist und wir zweitens die zusätzlich anfallende Arbeitszeit von den Vertragspartnern, also den Ländern, nicht bezahlt bekommen.“

Prozessoptimierung und Evaluation

Die Prozesse würden demnach auch ständig evaluiert und optimiert werden, auch was die externen Lieferpartner, die Qualität der Datenbank und den Ablauf der Befundung betrifft. Denn bis die Benachrichtigung auf die Smartphones der Testpersonen gelangt, müssen die Ergebnisse noch hochgeladen, vom Tauernklinikum als ärztlicher Befund ausformuliert und als Zertifikat verschickt werden. Der Grund der Verzögerung kann also vom Zeitpunkt der Abgabe bis zum Erhalt des Ergebnisses vielerlei Gründe haben.

Medizinischer Abfall

Für die Testperson ist mit Erhalt des Ergebnisses das Prozedere abgeschlossen. Im Labor steht man dann noch vor der Herausforderung, wie die ganze Spucke entsorgt werden soll: „Wir müssen für den Fall einer Reklamation immer einen Teil der Proben kurzfristig im Lager aufbewahren. Grundsätzlich kommen die Reste der Speichelproben in die medizinische Abfallentsorgung. Dort müssen alle infektiösen Inhalte fachmännisch inaktiviert werden, meistens durch Hitzedruck“, erzählt Dr. Jennifer Blauensteiner. Die „unschädlich“ gemachten Plastikreste können erst nach diesem Schritt entsorgt werden.

Derzeit scheint sich die Lage der Omikron-Variante zu entspannen: „Die Inzidenzen gehen tatsächlich zurück“, wagt Dr. Jennifer Blauensteiner ein wenig Zuversicht zu versprühen, obgleich der neue Omikron Subtyp BA.2 ein neuer Unsicherheitsfaktor ist. Über den Sommer erhofft sie sich eine verdiente Verschnaufpause in den Laboren, auch im Sinne der testgeplagten Bevölkerung. Allerdings nur bis zum Herbst, denn Experten erwägen schon die nächste Welle in Sichtweite. Bis Ende März sind die Test für den Alltagsgebrauch noch kostenfrei, wie viel die Bevölkerung zukünftig für die Corona-Tests bezahlen wird müssen, stand bei Redaktionsschluss (19. Februar 2022) noch nicht fest. Was ein angemessener Preis wäre? „Dazu müsste man sich die gesamte Logistik anschauen. Aber 20 bis 50 Euro pro Test, das könnte ich mir durchaus vorstellen“, schließt die Expertin.

Dieser Artikel wird online regelmäßig aktualisiert.


Im Diagnostikzentrum in Graz befinden sich hochtechnische Geräte, um die täglichen 25.000 PCR-Tests durchzuführen. Dazu zählen unter anderem Pipettierroboter, Geräte für die Aufbereitung der Proben sowie die wichtigen „PCR Cycler“. In den Jahren 2020 und 2021 hat Österreich nach Angaben des Finanzministeriums 2,6 Milliarden Euro für Tests ausgegeben.

PCR Test und Ct-Wert

Der PCR-Test ist der „Goldstandard“, um eine akute Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 nachzuweisen.
Der PCR-Test beruht auf der sogenannten Polymerase-Kettenreaktion (die englische Abkürzung: polymerase chain reaction, also PCR). Bei dieser Diagnosetechnik wird im Labor die Erbsubstanz des Virus in der Probe in mehreren Durchgängen vervielfältigt, sodass diese anhand der Virus-RNA nachgewiesen werden kann.

Bei der Auswertung der PCR spielt der so genannte Ct-Wert (Cycle-Threshold) eine wichtige Rolle, da er die Menge der Virus-RNA im Probenmaterial beziffert. Der Ct-Wert kennzeichnet – vereinfacht gesagt – die Anzahl, wie viel Durchgänge in der PCR nötig waren, um die Viren zu finden. Die Gesundheitsbehörden orientieren sich nach einer Genesung an einem Wert, der höher als 30 (Durchgänge) ist. Dann gilt man als „freigetestet“.


Ein PCR Gerät mit interaktivem Touchscreen.

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