Reportage

Zum Welt-Aids-Tag Leben mit HIV+

Es gibt Entscheidungen, die einen ein ganzes Leben lang begleiten. Zum Beispiel eine dieser „typisch besoffenen G`schichten“, jung, ohne nachzudenken, ohne Verhütung. Und dann kommt die Angst. Der Test. Und jeden Tag erhalten in Österreich ein bis zwei Menschen die Diagnose HIV-positiv. Und damit die Gewissheit, ein lebenslanges Andenken an diese eine Nacht zu haben.

Foto: Shutterstock

 

Dank der modernen Behandlungsmethode der antiretroviralen Therapie kann dieses Leben inzwischen durchaus sehr lang – sogar mit durchschnittlicher Lebenserwartung – dauern. Was früher als sicheres Todesurteil galt, heißt nun lebenslange Medikamenteneinnahme. „Die Krankheit ist ziemlich aus dem Fokus verschwunden. Gerade einmal im Jahr, rund um den Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember wird daran erinnert, dass es sie gibt. Dabei sterben immer noch Menschen an den Folgen einer HIV-Infektion. Doch für das mediale Interesse krass gesagt sind es wohl inzwischen zu wenig.“ So Matthias Gerschwitz, vor nunmehr 25 Jahren selbst HIV positiv getestet.

Der putzmuntere Inhaber einer Werbeagentur kommt aus Berlin und hielt im Rahmen der Bezirkstour „Ich will es wissen! Ich informiere mich. Ich mache einen HIV-Test“ der AIDS-Hilfe Steiermark zwei Lesungen seines Buches mit dem selbstironischen Titel „Endlich mal was Positives“. So wie der Titel, so auch das Buch, so aber auch sein Autor. Sein Credo: „Im Grunde meines Herzens war ich immer schon ein positiver Mensch, da wollte der Körper nicht nachstehen.“ AIDS-Hilfe Steiermark: kompetent in Fragen der sexuellen Gesundheit

Doch die Lust am Leben nicht zu verlieren, ist nur das eine. „Nur eine erkannte Infektion kann auch eine behandelte Infektion sein. Deswegen sollte man sich bei einer Unsicherheit auf jeden Fall testen lassen“, so Helga Gartner von der AIDS-Hilfe Steiermark. Schwierig zu therapieren sind nämlich die sogenannten „late presenters“, die erst Jahre nach der Infektion einen Test machen. Dabei gilt es einmal, eine grundsätzliche Unterscheidung zu treffen: Die Infektion mit dem HI (Human Immunodeficiency) Virus, zu deutsch menschliches Immundefekt Virus. Dieses schwächt das Immunsystem. Aber erst, wenn das Immunsystem zusammengebrochen ist, spricht man vom voll ausgebildeten Krankheitsbild AIDS.

Da zu Zeiten der Entdeckung des HI-Virus das frühere oder spätere Ausbrechen von AIDS und der damit einhergehende Zerfall bis zum Tod unausweichlich waren, sind sowohl die AIDS-Hilfe als auch der AIDS-Tag nach der Krankheit benannt und bleiben als Marke so bestehen. Dabei wandelt sich mit dem veränderten Krankheitsbild auch die Hilfe. „Früher waren die AIDS-Hilfen als Sterbebegleitung gegründet, heute bieten sie Lebensberatung“, so Manfred Rupp, Geschäftsführer der AIDS-Hilfe Steiermark. Um dem nachzukommen, ist man dabei, sich inhaltlich zu öffnen.

„HIV ist nur das eine, doch da gibt es noch viel mehr Dinge im Bereich der „sexuellen Gesundheit“, erklärt Helga Gartner weiter. Noch ist der Anspruch „kompetent in Fragen der sexuellen Gesundheit“ klein neben dem Schriftzug AIDS-Hilfe gedruckt, doch man möchte den Fokus in Zukunft umkehren. So bietet die AIDS-Hilfe neben üblichen HIV-Tests, die kostenlos und anonym sind, auch – allerdings kostenpflichtige – Syphilis-Tests an, ebenfalls anonym.

HIV im Alltag

Und wie lebt es sich als Betroffener? „Nein – Bonbons sind das nicht gerade, die zur antiretroviralen Therapie verschrieben werden. Auch schmecken sie nicht annähernd so gut“, liest Matthias Gerschwitz aus seinem Buch und ergänzt, welche Nebenwirkungen zu seinen dauerhaften Begleitern geworden sind: Kopfschmerzen und Schlafstörungen, auch Magenprobleme. „Man gewöhnt sich daran, aber am besten sind natürlich immer noch die Medikamente, die man nicht nehmen muss“, so sein Plädoyer für safer sex.

Dank der Therapie kann man die Viren unter der Nachweisgrenze halten, das bedeutet, man ist auch im Alltag nicht ansteckend. Das heißt, auch beim ungeschützten Sexualverkehr gibt es keine Übertragung, ebenso gibt es bei entsprechender Therapie keine Mutter-Kind-Übertragung von positiven Müttern auf ihre Babies. „Hier herrscht nach wie vor eine große Unwissenheit, gerade auch im medizinischen Bereich“, so Manfred Rupp. Kondome werden aber auf jeden Fall angeraten, schließlich schützen sie nicht nur vor HIV.

Matthias Gerschwitz, der in zahlreichen Onlineforen mit Rat und Tat zur Seite steht, weiß, dass es auch seitens der jüngeren Generation der 20-35-Jährigen oftmals erschreckend wenig Information gibt. Doch Unwissenheit führt oft zu Diskriminierung, Stigmatisierung und Ausgrenzung.

So verweigern etwa nach wie vor Ärzte Behandlungen, nachdem sie erfahren haben, dass ihre Patientinnen und Patienten positiv getestet wurden. Deswegen führt die AIDS-Hilfe im Rahmen ihrer Bezirkstour gezielt Schulungen für medizinisches Personal durch, geht an Schulen und bietet außerhalb der eigenen Geschäftsräume, in denen Test- und Beratungszeiten das ganze Jahr angeboten werden, kostenlose Tests in den jeweiligen Regionen an.

Auch im Alltag herrscht oft Unsicherheit, wie man mit HIV-positiven Menschen umgeht. Matthias Gerschwitz jedenfalls hat kein Problem damit, einem die Hand zu schütteln, denn er weiß, dass er dank seiner Therapie keinen ansteckt. Auch Mitleid will er nicht, denn „das stellt nicht mich, sondern die Infektion in den Vordergrund und degradiert mich so zu einem Statisten. Verständnis ist besser als Mitleid, weil es etwas bewirkt.“

Was er allen Lesern seines Buches und allen Zuhörern seiner Lesung und auch allen prima! -Lesern mitgeben möchte: „Ich wünsche allen Menschen, dass sie ihre Sexualität in vollen Zügen genießen können und dabei negativ bleiben.“ Das geht natürlich nur, wenn man auf safer sex achtet. Sein Schlussfazit ist dennoch versöhnlich: „Aber man kann auch Spaß am Leben haben, wenn man positiv ist.“


Matthias Gerschwitz
Autor und selbst Betroffener Matthias Gerschwitz bei der Lesung seines Buches „Endlich mal was Positives“ im LKH Hartberg.

Wichtige Informationen:

Der Begriff HIV steht für Human Imunodeficiency Virus, zu deutsch menschliches Immundefekt Virus.  Damit gehört das  HI-Virus zu den sogenannten „Retrovren“. Das sind Viren, die bei Mensch (oder auch Tier) zu Erkrankungen führen können. Dementsprechend nennt man die HIV-Therapie Antiretrovirale Therapie (ART). Ihr Ziel ist es, die Viruslast unter die Nachweisgrenze zu senken bzw. die Vermehrung von Retroviren zu hemmen.

Meist wird sie als HAART (highly active antiretroviral therapy, also hochwirksame antiretrovirale Therapie) verabreicht, also als Kombination verschiedener ARTen. Zu Anfangszeitender HAARt waren das bis zu 36 Tabletten, die Betroffene täglich einnehmen mussten, heute kann man das auf 2 pro Tag beschränken.

Ein paar statistische Zahlen: Jeden Tag erhalten in Österreich 1-2 Menschen pro Jahr eine positive HIV-Diagnose, wobei die Gesamtzahlen dabei recht stabil sind. 2018 gab es somit 397 HIV-Diagnosen, gegen 510 im Jahr 2017 und 47 im Jahr 2016. In der Steiermark gab es 2018 50 Neudiagnosen.

Die AIDS-Hilfe Steiermark bietet kostenlos und anonym HIV-Tests an. Die Zeiten hierfür sind Di, Mi, Do 16.30-19.00 Uhr in Graz, in der Hans-Sachs-Gasse 3. Man kann aber auch telefonisch einen Termin vereinbaren: 0316/815050. Das Ergebnis kommt nach 3-6 Tagen und kann mündlich erfragt werden. Man kann auch einen sogenannten Schnelltest durchführen lassen, der dann allerdings 28,- Euro kostet. Hier erhält man das Ergebnis bereits 30-45 Minuten nach der Blutabnahme.

Die AIDS-Hilfe Steiermark bietet jedoch keinen Test ohne Beratung an. Hier wird zunächst einmal abgeklärt, was der Test aussagt und was nicht (das HI-Virus kann frühestens 2 Wochen nach Infizierung nachgewiesen werden, absolute Sicherheit erlangt man erst nach 6 Wochen) und wie man mit möglichen positiven Ergebnissen umgehen kann.

Matthias Gerschwitz, Jahrgang 1959, lebt in Berlin. 1994 bekam er seine HIV-positiv-Diagnose gestellt. 2009 veröffentlichte er sein Buch „Endlich mal was Positives“, in dem er offen über seine Infektion und den Umgang damit berichtet, aber auch etliche Hintergrundinformationen gibt. 2015 ergänzt er sein erstes Buch um einen zweiten Band, in dem er auf die aktuelle Lebenssituation HIV-positiver Menschen eingeht.

Bestellungen über www.matthias-gerschwitz.de


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