Bericht

Auswanderer aus Wolfau

In meiner Auswanderer-Datenbank habe ich in jahrelanger Arbeit für fast alle Orte aus unserem Land umfangreiche Informationen gesammelt. In vielen Fällen ist es mir gelungen, die Lebensumstände der Emigranten auch nach deren Ansiedlung in der neuen Heimat zu ermitteln. Ich habe gefunden, welche zuweilen ungewöhnlichen Berufe sie ausgeübt haben, wie ihre Familien im fernen Land gewachsen sind, und manchmal konnte ich auch ihre Nachkommen bis herauf in die Gegenwart aufspüren.
Ein Beitrag zu 100 Jahre Burgenland von Ahnenforscher Herbert Rehling

Rennen um Land in Oklahoma: Warten auf das Startsignal

 

Wolfau ist ein gutes Beispiel für eine „Auswanderer-Gemeinde“, weil dieser Ort einige bemerkenswerte Details zur Geschichte der Auswanderer aus unserem Land beiträgt.

Die ersten Auswanderer aus Wolfau, die ich gefunden habe, sind Ende der 1890er-Jahre in die USA gegangen, die letzten in den 1950er-Jahren. Insgesamt umfasst meine Datenbank beinahe 500 Emigranten aus diesem Ort. Bei einer durchschnittlichen Einwohnerzahl von circa 1.500 in diesem Zeitraum bedeutet das einen enormen Aderlass an Einwohnern. Bezogen auf die Zahl der Bewohner liegt Wolfau damit im Spitzenfeld aller Gemeinden im Bezirk Oberwart.

Für rund die Hälfte aller Emigranten aus Wolfau war das Reiseziel die Großstadt Chicago im Mittleren Westen der USA, einfach deshalb, weil dort die Nachfrage nach Arbeitskräften riesig groß war. Auch Pittsburgh im Bundesstaat Pennsylvania, auf halbem Weg von New York nach Chicago gelegen, benötigte ständig neue Arbeitskräfte. Diese Stadt war gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Zentrum der Stahlindustrie geworden. Nicht nur das Überangebot an Arbeitsplätzen lockte die Wolfauer; sicher spielte auch mit, dass sich rund um Pittsburgh viele deutschsprachige Zuwanderer, beispielsweise aus Bayern und Schwaben, angesiedelt hatten.

Von Wolfau nach Oklahoma

Im Jahr 1896 machte sich die Familie Karner aus Wolfau auf den Weg nach Übersee mit dem Ziel Pittsburgh: Michael Karner, seine Frau Theresia, geborene Flasch, und vier Kinder. Das jüngste Kind Franz war erst kurz vor der Abreise zur Welt gekommen und bei der Ankunft in den USA noch nicht einmal zwei Monate alt.
Der Familie Karner dürfte es in Pittsburgh nicht gefallen haben, denn schon im nächsten Jahr finden wir sie in Guthrie, Oklahoma, ungefähr 1.700 km südwestlich von Pittsburgh. Die Karner dürften vom Land gehört haben, das dort günstig zu erstehen war. Wenige Jahre zuvor war nämlich ein riesiges Stück Land (fast 8.000 km2) zur Besiedlung für Nicht-Native Americans freigegeben worden. Die Parzellen sollten in einem Wettrennen gewonnen werden.

Am 22. April 1889, dem von der Regierung festgelegten Tag, stürmten mehr als 50.000 Landhungrige, die sich rund um dieses Gebiet versammelt hatten, nach einem Signal los, um sich ihr Stück Land zu sichern: Der „Oklahoma Land Rush“ war gestartet, ein Ereignis, das später mehrmals in Filmen nachgestellt wurde, beispielsweise im Filmklassiker „Cimarron“ mit Glenn Ford und Maria Schell als Darsteller. Viele der so erworbenen Parzellen wurden anschließend zum Kauf angeboten und da dürften auch die Wolfauer zugegriffen haben.

Familie Karner wurde also 1897 in Guthrie sesshaft. Sie passte sich schnell den neuen Verhältnissen an und berichtete ihren Erfolg nach Hause. Schon im Jahr darauf folgte ihnen die sechsköpfige Familie Flasch aus Wolfau in dieses Land und siedelte sich im Pleasant Valley, nördlich von Guthrie, am Cimarron River an. Damit wurden diese Wolfauer zu echten Pionieren im damals noch Wilden Westen.

Josef und Johann Flasch, beide noch in Wolfau geboren, heirateten in Guthrie Schwestern, die aus Eltendorf stammten. Beide Paare hatten zahlreiche Kinder. Johanns Tochter Hilda Edna Flasch, geboren 1918, war mit dem deutschstämmigen Dr. Herbert Emil Kaiser verheiratet. Beide wurden über 100 Jahre alt. Sie genossen Reisen und konnten sich rühmen, alle 50 Bundesstaaten der USA gesehen zu haben. Überdies bereisten sie mehr als 35 Länder auf fünf Kontinenten. Ob sie auch Wolfau besuchten, ist mir nicht bekannt.
Dem Namen Karner und Flasch kann man auch heute noch in und um Guthrie häufig begegnen.


Start zum Oklahoma Land Rush

 

Streik in Pittsburgh, Pennsylvania

Ende des 19. Jahrhunderts wurde Pittsburgh im Bundesstaat Pennsylvania, am Ohio River gelegen, aufgrund der Erz- und Kohlevorkommen in der Umgebung zu einer wichtigen Industriestadt. Vor allem siedelten sich große stahlerzeugende Betriebe an, die einen ständig steigenden Bedarf an Arbeitskräften hatten.

Einer dieser Betriebe war die Pressed Steel Car Company, die ihren Sitz in der einige Meilen flussabwärts gelegenen Kleinstadt McKees Rocks hatte.

Um 1900 sind dort die ersten Immigranten aus Wolfau eingetroffen – Karner, Flasch, Hirtz, Lang, Madl, Stampfl, Müllner, Musser, usw. – und haben eine turbulente Zeit erlebt. Die Arbeitsbedingungen und andere Umstände waren nämlich unbeschreiblich schlecht. Die Arbeitsplätze mussten gekauft werden, die Arbeiter und ihre Familien wurden in firmeneigenen Wohnungen untergebracht, für die Miete zu bezahlen war. Eingekauft durfte nur in Geschäften werden, die wiederum der Firma gehörten. Verständlich, dass die Familien in kurzer Zeit verschuldet und völlig von der Firma abhängig waren.

1903 gab es den ersten organisierten Widerstand der Beschäftigten. Er wurde mit Gewalt unterdrückt, die meisten Arbeiter samt ihren Familien vor die Tür gesetzt und durch neue „Sklaven“ ersetzt. Dies waren überwiegend neue Einwanderer aus Mittel- und Osteuropa, die vor Ort unterschiedslos „Slavs“ (Slawen) genannt wurden, nicht zufällig im Anklang an „Slaves“ (Sklaven).

Diese neuen Arbeitnehmer, mehr als 5000, darunter auch zahlreiche Einwanderer aus Wolfau, wurden zu noch niedrigeren Löhnen beschäftigt als ihre Vorgänger und denkbar schlecht behandelt. Trotzdem haben sie jahrelang durchgehalten, bis es 1909 zum großen McKees Rocks Strike kam. Er dauerte von Juli bis September dieses Jahres. Die Firmenleitung versuchte mit allen Mitteln, den Streik zu brechen. Gewalt rief Gegengewalt hervor, aus einem Streik wurde ein regelrechter Aufstand, und am 22. August, dem „Blutigen Sonntag“, gab es zahlreiche Tote.

Erst 14 Tage später lenkte die Firma – auch auf öffentlichen Druck – ein. Es gab eine Lohnerhöhung, und die Firma musste sich vertraglich verpflichten, einige der schlimmsten Einrichtungen zu beenden.

Die Einwanderer aus Wolfau und ihre Nachkommen haben in diesen harten Zeiten eisern durchgehalten. Heute sind die erwähnten unverwechselbaren Namen aus Wolfau im Raum Pittsburgh nach wie vor in großer Zahl zu finden.


McKees Rocks Streik: Begräbniszug

 

Herbert Rehling ist Ahnenforscher und lebt in Bad Tatzmannsdorf

www.rehling.weebly.com


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2 Antworten

  1. Sehr geehrter Herr Rehling,

    Michael Karner, seine Frau Theresia, geborene Flasch, und vier Kinder

    Frau Theresia Flasch war die Schwester meines Urgroßvaters. Zwei ihrer Brüder folgten ihr und ihrem Mann nach Oklahoma. Der Kontakt zu einem ihrer Söhne bestand zwischen meinem Großvater Mathias Flasch mit seinem Cousin in Amerika noch bis in die 1970er Jahre.

    Ihr Bericht bestätigt meine Ahnenforschung aufs Neue.
    Vielen Dank.