Bericht

„Da war so viel Menschlichkeit“

Es ist etwa 20.30 Uhr, als Felix K. zu seinem Handy greift und seine Eltern in Oberwart anruft. „Mama, ich bin okay, macht euch keine Sorgen“, sagt er mehrmals hektisch, als diese abhebt. „Warum solltest du nicht okay sein?“, ist die verwunderte Antwort. Es ist Montag, der 2. November und was Felix‘ Eltern zu diesem Zeitpunkt in Oberwart noch nicht wissen: Ihr Sohn ist mitten im Geschehen des Terrorattentats in Wien.

Foto: Jeff Mangione / KURIER / picturedesk.com

Am 2. November wurden vier Zivilpersonen bei einem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt getötet. Ebenso der Täter, ein IS-Sympathisant.

 

Wie bekannt, war es der letzte Abend vor der Ausgangsbeschränkung. Es ist kurz vor 20 Uhr am 2. November. Felix K. (Name wurde geändert) steht mit zwei Freunden vor einem Lokal in der Judengasse und raucht. Eigentlich würden sie gerne draußen sitzen. Aber da ist alles besetzt. Also gehen sie ins Lokal, um die nächste Runde zu bestellen. „Und dann ist es passiert“, sagt Felix. Mehrere Knallgeräusche sind zu hören, als ob jemand mit einem Stuhl herumwirft. „Eine Barschlägerei“, war der erste Gedanke, der Felix durch den Kopf geht. Dann rennen die ersten Leute fluchtartig ins Lokal Richtung Toilette. Ein junger Mann bleibt stehen und meint, dass sein Arm gebrochen ist. Tatsächlich ist er zerschossen. Immer mehr Leute stürzen panisch herein. Von draußen sind Schüsse zu hören. Felix und seinen Freunden ist schlagartig klar, dass hier gerade etwas Extremes passiert. Ein Kellner reagiert sofort und bringt die Leute in den Keller eines Hinterhofes. 30 Menschen sind es. „Dort war dann das Ausmaß erkennbar“, sagt Felix. Er ist Milizsoldat. Durch seine Ausbildung weiß er, wie man Schussverletzungen versorgt. Aber psychisch mit so einer Situation umzugehen, „ich wüsste nicht, wie man sich darauf vorbereitet“, sagt er.

Fürsorge mitten im Terror

In dieser extremen Situation leisten die Menschen sofort gegenseitig Erste Hilfe, organisieren sich. Die Verwundeten werden im Keller auf eine Seite gebracht und versorgt. Felix ist unter den Helfern. Seine Ausbildung lässt ihn jetzt routiniert und konzentriert handeln. Wunden werden sofort abgebunden, um die Blutungen zu stillen. Mit T-Shirts, Pullovern, Gürteln. Aus den Wohnungen oberhalb werden Tischdecken in den Hof geworfen. Als Unterlage für die Verletzten. Druckverbände werden angelegt. „Die leichteste Wunde war eine Schussverletzung mit drei Einschüssen. Bei einem Mann war der Arm so zerschossen, dass man den Knochen gesehen hat“, berichtet Felix gefasst. Dennoch, die Leute bleiben ruhig. Keiner weint oder jammert. Einige verlassen den Keller, um zu schauen, ob noch andere Hilfe suchen und um Schmiere zu stehen, ob vielleicht sogar der Täter selbst kommt.

„Die Menschen waren enorm solidarisch“, sagt Felix.
Im Schock bleibt für Todesangst keine Zeit. Rückblickend sagt Felix heute, dass die Polizei unheimlich schnell vor Ort war. Cobra-Beamte, die den Hof bereits gesichert haben, als der Täter noch am Schwedenplatz war. Von außen kommen Nachrichten über die Lage. Schließlich auch jene, dass der Täter, ein Sympathisant der Terrororganisation „Islamischer Staat“, vor der Ruprechtskirche erschossen wurde.

Nach und nach werden die Verletzten aus dem Keller in den Hof transportiert. Sanitäter kommen. Endlich. Bis dahin ist die Sorge um die Verwundeten im Fokus. Felix selbst und alle anderen müssen bis um halb drei Uhr nachts vor Ort bleiben. „Weil bis dahin die Situation nicht ganz klar war, ob nicht noch ein weiterer Täter unterwegs ist.“ Über sieben Stunden. Dann werden sie von der Polizei vom Ort wegbegleitet. Vorbei an dem Täter, der tot vor der Ruprechtskirche liegt. Vorbei an der Kellnerin, die eines der Todesopfer ist.

Wochen später

Videos von der Nacht kann sich Felix heute nicht ansehen. Er und seine Freunde nehmen professionelle Hilfe zur Verarbeitung des Traumas in Anspruch. Reden hilft. Hasserfüllt ist Felix nicht. „Es ist eine rationale Wut. Es muss jemanden im Hintergrund geben, der diesen jungen 20-jährigen Menschen zu dieser schrecklichen Tat angestiftet hat. Das macht mich wütend“, sagt er. Der Attentäter sei in gewisser Weise auch ein Opfer.

„Aber es gibt auch ein positives Gefühl“, sagt Felix. Der Zusammenhalt in jener Nacht im Keller zwischen Menschen, die sich fremd sind. Für die es aber selbstverständlich war, aufeinander aufzupassen. „Da hab ich den Glauben an die Menschheit wiedergewonnen.“ Den Begriff Held mag er nicht. Bei sich selbst schon gar nicht. Hilfe sollte selbstverständlich sein. Wichtig sei nur, dass es allen, die mit ihm an diesem Ort waren, gut geht. Eine Botschaft hat er: Keine Hassbotschaften gegenüber Andersgläubigen zulassen und niemals generalisieren. Davor warnt er. Das gibt den Hintermännern des Täters die Chance, uns zu spalten und noch mehr Hass aufzubauen. „Ich lasse das nicht zu. Meinen Glauben an die Menschheit hat der Attentäter nicht zerbrechen können. Daran ist er gescheitert.“

.

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von anchor.fm zu laden.

Inhalt laden


Schreibe einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

1 Antworten