Die große Resignation Mitarbeiter im Wandel
Corona hat nicht nur die Gesellschaft in Geimpfte und Ungeimpfte gespalten. Immer mehr Unternehmerinnen und Unternehmer merken eine Unzufriedenheit bei ihren Mitarbeitern, die sie sich nicht erklären können. Auf der einen Seite stehen Firmenbosse, die seit der Pandemie viel Energie und Geld investieren mussten (und weiterhin müssen), um den Betrieb irgendwie durch die Krise zu bringen – was sie teilweise nur mit neuen Geschäftsmodellen schaffen. Auf der anderen Seite stehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich gegen Veränderungen wehren und sich an das Unternehmen nicht mehr so gebunden fühlen wie vor Corona. „Viele Unternehmer fühlen sich dabei gewaltig vor den Kopf gestoßen und sind verzweifelt“, sagt Wirtschaftspsychologin Elisabeth Bürgler. Eine Suche nach den Ursachen der Resignation.
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Quer durch alle Branchen ist sie bemerkbar: Die „Great Resignation“. Es ist eine innere Trägheit im Betrieb, mit der Unternehmen derzeit zu kämpfen haben. „Die Menschen wurden durch Corona in ihrem routinemäßigen Tun gewaltsam gestoppt. Sie hatten während der Lockdowns Zeit zum Nachdenken und blicken nun anders auf die Welt. Das neuerliche Herunterfahren und der neue Stillstand verstärken die Resignation. Das Leben, wie es vor Corona war, lässt sich jetzt nicht einfach so weiterführen“, weiß Wirtschaftspsychologin Elisabeth Bürgler. Die Auswirkungen sind bekannt: Personal ist kaum zu finden. Und auch jene, die bereits seit Jahren im Unternehmen tätig sind, sind oftmals unzufrieden. „Und das, obwohl viele Firmenchefs gerade in der Zeit der Lockdowns versucht haben, ihr Team über zusätzliche Angebote zu halten. Fortbildungen, Bonusauszahlungen, Kurzarbeit – viele haben sich da wirklich sehr bemüht“, sagt Bürgler. Denn die Betriebe brauchen ein motiviertes Team, um das Geschäft wieder anzukurbeln. „Was vor Corona Gültigkeit hatte und gut funktionierte, ist nun wirtschaftlich oftmals nicht mehr ertragreich. Genau jetzt wäre ein Team gefordert, das an einem Strang zieht, das Engagement zeigt und auch mutig ist, Neues auszuprobieren“, meint Bürgler.
Doch weit gefehlt, zeigt die Praxis. In der Zeit des Stillstands haben viele festgestellt, dass ihnen mehr Freizeit wichtiger ist, als mehr Geld zu verdienen, erklärt die Expertin. Diese Erkenntnis schlägt sich vielfach in der Arbeitswelt nieder. Gehaltserhöhungen führen laut Bürgler jedenfalls nicht zu mehr Engagement. „Dazu kommt, dass Menschen auch ihre private Situation hinterfragen und Probleme auch hier deutlicher zum Vorschein kommen. Es zeigt sich, dass Themen, die in der Familie nicht geklärt wurden, ins Arbeitsumfeld getragen werden. So kann beispielsweise ein nicht gelöstes Autoritätsproblem mit dem Vater zu einem ständigen Kampf mit Autoritäten im Unternehmen führen. Viele Themen – auch systemische – kommen jetzt verstärkt ans Tageslicht“, sagt Bürgler. Meist wird nach einem Schuldigen für die allgemeine Unzufriedenheit gesucht. Und das ist dann gerne die Arbeit. „Das Unternehmen muss oftmals als Sündenbock herhalten“, bringt es Bürgler auf den Punkt.
Die Suche nach Werten
Eine Tanzschule in der Südsteiermark. Geführt wird sie von einem Ehepaaar, das nach dem ersten Lockdown wieder Kurse anbot und voller Hoffnung das Geschäft hochfuhr. Dann der Schock: Die Tanzlehrerinnen und Tanzlehrer kündigten. Neue sind einfach nicht zu bekommen. Dieses Bild zeichnet sich quer durch die Branchen. „Wie können wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder ins Boot holen und das Team so motivieren, dass es sich aktiv und engagiert in das Unternehmen einbringt“, ist eines der Hauptanliegen der Firmenchefs, mit denen die Expertin arbeitet. Bürgler setzt dabei an der Basis des Einzelnen an. „Lebenswerte hinterfragen“, ist für sie der erste wesentliche Schritt (siehe dazu Kasten Seite 13). Sowohl Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmer sind gefordert, ihren persönlichen Lebenssinn zu finden. „Es geht darum, zu hinterfragen, ob das, was ich tue, das ist, wofür es sich lohnt, morgens aufzustehen“, ist für Bürgler die Gewissensfrage, die sich jeder stellen muss. Für Unternehmerinnen und Unternehmer bedeutet das in einem ersten Schritt, ihre Firmenphilosophie, ihre Werte und Inhalte, für die das Unternehmen steht, neu zu überdenken und zu entwickeln. Erst nach der Definition eines Wertesystems kann das Unternehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ansprechen, die zu diesem System passen und damit konform gehen. „Wenn hier eine Übereinstimmung vorhanden ist, dann werden Arbeitnehmer einen Sinn in ihrer Tätigkeit finden. Und das wiederum ist entscheidend, damit eine Entwicklung stattfinden kann. Für jeden persönlich und auch für die Firma“, hält die Wirtschaftspsychologin fest. Wer also aufbauend auf sein Wertesystem auf Mitarbeitersuche geht und diese Werte auch dementsprechend lebt und vermittelt, wird schließlich auch das Team finden, das zu seinem Betrieb passt.
Auch Mitarbeiter müssen sich hinterfragen
Doch die Selbstreflexion der Unternehmerinnen und Unternehmer ist nur die eine Seite, sagt Elisabeth Bürgler. Ebenso erforderlich ist sie auf Seiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Erst wenn klar ist, welche Dinge im Leben wichtig sind, kann die Frage beantwortet werden, ob ich dort, wo ich bin, auch richtig bin. „Wenn eine Führungskraft beispielsweise feststellt, dass sie weniger Verantwortung im Unternehmen tragen möchte, weil in ihrem Wertesystem die Familie oder der Sport ganz oben steht und sie mehr Zeit dafür haben möchte, ist sie im Unternehmen an einer anderen Position mit weniger Verantwortung und weniger Stunden vielleicht besser aufgehoben“, erklärt Bürgler. In der Regel sorgt eine solche Veränderung für mehr Zufriedenheit auf beiden Seiten und verhindert in vielen Fällen eine Kündigung.
Die Angst der Unternehmer, Mitarbeiter zu verlieren
Doch nicht immer ist eine innerbetriebliche Lösung erreichbar. Die Erkenntnis eines Unternehmers, dass man vielleicht die „falschen“ Mitarbeiter hat, also solche, die mit den Unternehmenswerten einfach nicht übereinstimmen, ist oft auch mit Angst verbunden. Mit jedem Mitarbeiter, den man verliert, geht auch Wissen verloren und oft ist es auch eine persönliche Enttäuschung. Immerhin, weiß Bürgler aus Erfahrung, sind Mitarbeiter ja auch ein Stück Familie. „Eine Kündigung ist natürlich immer der letzte Schritt und das, was man vermeiden möchte. Aber kein Mensch muss es sich antun, in einem Team zu arbeiten, wo es einfach nicht passt. Keine Angst vor Veränderung“, rät Elisabeth Bürgler deshalb. „Auch das Loslassen gehört zur Entwicklungsarbeit dazu“, beruhigt sie. Der Blick über den Tellerrand öffne oftmals neue Perspektiven. Allein die Frage, in welchen Bereichen das Unternehmen erschlanken oder wo man – vielleicht ohnehin ungern angebotene – Dienstleistungen streichen kann, kann ein Befreiungsschlag für den Betrieb sein. „Viele Unternehmerinnen und Unternehmer stellen nämlich fest, dass ‚kleiner,‘ mit weniger Personal und exklusiveren Dienstleistungen besser ist, als immer größer und umfangreicher zu werden“, betont die Wirtschaftspsychologin.
Die Machtverhältnisse innerhalb einer Firma haben sich verändert. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind längst nicht mehr getrieben von der Angst, ihren Job zu verlieren. Sie schauen sehr genau auf die Führung und Haltung des Unternehmens. Das Verbindende zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kann somit gut über ein übereinstimmendes Wertesystem funktionieren. Das richtige Team zu finden, wird für Firmeninhaber schwieriger, weiß Bürgler. Aber wenn es gefunden wurde, dann ist wirklich auch Großartiges möglich.
Wirtschaftspsychologin und Coach
Mag. Elisabeth Bürgler MSc, MBA führt eine Praxis in Kukmirn im Südburgenland
Wie man den eigenen Lebenssinn findet
Die japanische Methode des IKIGAIS klärt die Frage nach dem eigenen „Lebenssinn“. Frei übersetzt heißt es: „Das, wofür es sich zu leben lohnt!“ Es geht dabei um das Gefühl, etwas zu haben, für das es sich lohnt, morgens aufzustehen! Elisabeth Bürgler wendet dieses Konzept in ihren Coachings an. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer sollten diese Fragen für sich beantworten. Das schafft ein großes Gemeinschaftsgefühl, ein Gefühl der Zugehörigkeit und ist sehr sinnstiftend. Der Fokus liegt nicht mehr nur darauf, etwas zum eigenen Selbstzweck zu tun, sondern zu erkennen, welchen Beitrag jeder Einzelne für die Gemeinschaft leisten kann.
Die Fragen, die dabei von jedem und jeder zu beantworten sind:
Was ist das, was du wirklich liebst?
Was ist das, was du richtig gut kannst?
Was davon ist das, was die Welt braucht?
Wofür wäre sie bereit, dir etwas zu bezahlen?
Eine Selbstreflexion wie diese braucht Zeit und den Mut, sich eingestehen zu können, dass der Fokus neu ausgerichtet werden muss.
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