Bericht

Mehr Haltung, bitte!

Rückenschmerzen sind die Volkskrankheit Nummer eins. Bis zu 70 Prozent aller Erwachsenen leiden zumindest einmal im Leben darunter. Jeder dritte Österreicher hat chronische Wirbelsäulenbeschwerden. Durch Digitalisierung und Homeoffice kommen neue Phänomene hinzu wie etwa der „Smartphone-Nacken“ bei Jugendlichen. Um Haltungsschäden zu vermeiden, können bereits präventiv einfache, aber regelmäßige Maßnahmen helfen.

Foto: FH Burgenland

Absolvent*innen der FH Burgenland Campus Pinkafeld

 

Bewegungsmangel ist eine der Hauptursachen für Rückenschmerzen. Bereits vor der Pandemie wurde aus Fachkreisen der Sportmedizin und Physiotherapie konstant immer wieder gepredigt, dass wir mehr in die Gänge kommen müssen und der Verlockung, als Couch-Potato die Abende und Wochenenden zu verbringen, widerstehen müssen. Mindestens 150 Minuten Ausdauerbewegung pro Woche und zwei Mal Krafttraining seien laut Heike Bauer-Horvath ideal. Sie ist Studiengangsleiterin für Physiotherapie am Campus Pinkafeld der FH Burgenland und sie ist Mitglied im Präsidium von Physio Austria, dem Bundesverband der Physiotherapeut*innen Österreichs. Homeoffice und Lockdown haben dem inneren Schweinehund jedoch in die Arme gespielt, weiß sie. „Es hat sich gezeigt, dass sich die Menschen durch die Arbeit zuhause noch weniger bewegt haben und die Beschwerden im Stützapparat angestiegen sind“, weiß Bauer-Horvath. Dabei betont sie die Wichtigkeit von Tagesstrukturen. Wer daheim arbeitet, sollte sich in der Früh ebenso anziehen und zurechtmachen, als würde er zur Arbeit außer Haus gehen. „Es empfiehlt sich, kurz rauszugehen und eine kleine Runde um den Häuserblock zu drehen. Auch nach dem Mittagessen sollte man raus an die frische Luft“, erklärt Bauer-Horvath weiter. Kleine Bewegungen während der Arbeit seien wichtig. „Dabei geht es darum, statische Positionen regelmäßig aufzulösen. Wer einen Ordner vom Regal braucht, sollte nicht mit dem Sessel hinrollen, sondern aufstehen und sich bewegen“, gibt die FH-Professorin weitere Tipps. Auch das Anbringen von Signalpunkten – etwa einem Smiley am PC – hilft, sich daran zu erinnern, dass man sich regelmäßig durchstreckt und eine kurze Ausgleichsübung macht. Wer nebenbei das Radio laufen hat, kann beispielsweise stündlich zu den Nachrichten diese Übungen durchführen. „Kurz hinsetzen und wieder aufstehen – und das mehrmals hintereinander“, erklärt die Physiotherapeutin. Es sei wichtig, mit bestimmten Wiederholungszahlen und -serien große Muskelgruppen wie etwa den Oberschenkelmuskel zu beanspruchen.

Die Angst im Nacken

Finanzielle Probleme, Existenzängste, seelischer Kummer – das alles kann ebenfalls zu Schmerzen im Rücken bzw. Nacken führen, obwohl ein Röntgen- oder MRT-Befund keinerlei Auffälligkeiten zeigt. „Für uns Physiotherapeut*innen ist es deshalb wichtig, im Rahmen eines Vorgespräches auch solche Faktoren abzuklären, die eine psychische Belastung darstellen und zu körperlichen Schmerzen am Bewegungsapparat führen können“, erklärt Bauer-Horvath. Dabei spielen Arbeits- und Beziehungssituation oder etwa auch finanzielle Belastungen eine Rolle, die einen interprofessionellen Ansatz notwendig machen. „In solchen Fällen raten wir dazu, psychotherapeutische Beratung anzunehmen. Auch Sozialarbeiter*innen bieten hier oft wertvolle Hilfen hinsichtlich Fördermöglichkeiten, damit die finanzielle Belastung wegfällt“, weiß Bauer-Horvath.

Der Smartphone-Nacken der Jugend

Rückenschmerzen sind keineswegs eine Alterserscheinung. Besonders bei jungen Menschen zeigt sich das Phänomen eines Smartphone-Nackens. Bis zu dreieinhalb Stunden pro Tag nutzen Jugendliche durchschnittlich ihr Handy. In Fachkreisen wird von einem „Text Neck Syndrome“ gesprochen. Die vorgestreckte Position des Kopfes und der nach unten gesenkte Blick auf das Handy können zu Schmerzen und Entzündungen der Wirbelgelenke, Muskelverspannungen bis hin zu Problemen mit der Bandscheibe führen. Häufig kommt es auch zu Schwindel und Kopfschmerzen und auch zu neurovegetativen Beschwerden. „Dabei gibt es ganz einfache Tipps, die helfen, den Nacken zu entlasten“, weiß Heike Bauer-Horvath. Erst im Vorjahr hat eine Studiengruppe der FH Burgenland am Campus Pinkafeld zu diesem Thema ein Projekt durchgeführt und Tipps via Social Media veröffentlicht. „Wer beispielsweise auf dem Sofa sitzt und am Laptop arbeitet, der sollte einen Polster auf die Oberschenkel legen und dort den Laptop positionieren. Das führt dazu, dass der Blick nicht nach unten gesenkt ist“, erklärt die FH-Professorin. Ziel der Tipps sei es immer, Kopf und Nacken in eine aufrechte und damit stabilere Position zu bringen und zu entlasten, damit keine Verspannungen entstehen bzw. bereits bestehende nicht schlimmer werden. So könne man beispielsweise auch Oberkörper und Kopf gegen die Wand anlehnen und Nachrichten auf dem Handy im Stehen durchschauen. Einem Handy-Verbot bei Kindern steht die Expertin eher kritisch gegenüber. Vielmehr gehe es darum, das Kind zu motivieren, täglich ein bis zwei Stunden raus in die Natur zu gehen und sich dort zu bewegen.

Die Basics für jedes Kind

Auf die Haltung des Kindes zu achten, beginnt bereits beim richtigen Schuhwerk. „Wenn die Basis nicht passt, kann sich der Körper nicht adäquat einordnen“, sagt Bauer-Horvath. „Das heißt, Schuhe müssen Halt geben. Die Sohle soll aber nicht steif sein, denn sonst kann man nicht gut abrollen. Die Schuhe müssen außerdem groß genug sein. Damit der Fuß gut das Abrollverhalten entwickeln kann, sollte gerade bei Kindern eineinhalb Zentimeter Platz sein.“

Auch die Kleidung wirkt sich auf die Körperhaltung aus, erklärt die Expertin. „Wenn man enge Hosen oder Hüfthosen anhat, sinkt man automatisch ein. Man muss sich dann gegen den Widerstand aufrichten. Es sollte daher im Beckenbereich eine gewisse Bewegungsfreiheit bestehen bleiben und das Becken muss im Sitzen nach vorne gerollt werden können. Bei Schulkindern ist, laut Bauer-Horvath, auch die Schultasche besonders wichtig. „Sie soll nicht zu weit über die Halswirbelsäule Richtung Kopf reichen. Aber auch nicht zu weit hinunter Richtung Becken.“ Das Eigengewicht der Tasche ist ebenso entscheidend. Eineinhalb Kilo gibt die Expertin dabei als Idealgewicht an. „Und die Schultasche muss sich anpassen. Der Rücken sollte gut ausgepolstert sein und am besten ist, wenn sie Gurte hat, die man im Bereich des Beckens und im Bereich des Brustkorbes zuschnallen kann.“

Auch die Packtechnik sei entscheidend. Wichtig sei dabei, dass die schwersten Sachen ganz knapp am Rücken sind. „Die Trinkflaschen sind oft auf einer Seite reingesteckt. Da ist es günstiger, wenn man sie auf zwei kleine Flaschen links und rechts verteilt, damit eine symmetrische Situation entsteht“, erklärt Bauer-Horvath. Gundsätzlich gelte, so die FH-Professorin, lieber rechtzeitig einen Experten bzw. eine Expertin hinzuzuziehen, damit es nicht zu einer skoliotischen Fehlhaltung komme. Aber das gilt nicht nur bei Kindern. Physiotherapeutische Präventionsmaßnahmen bei Erwachsenen werden auch im Zuge einer betrieblichen Gesundheitsförderung (Infos unter www.physioaustria.at, fachliches Netzwerk „Arbeit, Gesundheit und Prävention“) angeboten. „Dabei wird unter anderem festgestellt, welche Adaptionen am Arbeitsplatz notwendig sind, damit es nicht zu Rückenschmerzen kommt oder welche speziellen Ausgleichsübungen individuell sinnvoll sind“, erklärt Bauer-Horvath. Im Grunde geht es dabei um kleine Rituale, die wir gut in den Alltag einbauen können, die aber eine große Wirkung auf unsere Gesundheit und auch auf unsere Arbeitsleistung haben.


Physio Austria hat einfache, aber hilfreiche Freecards zur richtigen Haltung herausgegeben.



Videos:

Fit im Home-Office: LWS und BWS

3 HWS Übungen

Augen-fit Übungen:
Augenfit in 3 Minuten – OneDrive (sharepoint.com)

Einstellung des Büroarbeitsplatzes (Powerpoint)


Neuregelung bei Finanzierung ab 2022:

Finanzierung in allen Bundesländern durch die Krankenkasse:
Die Österreichische Gesundheitskasse hat sich mit dem Bundesverband Physio Austria auf einen neuen Rahmenvertrag geeinigt. Ab dem heurigen Jahr wird die Physiotherapie somit bundesweit auf Kassenkosten eingeführt – vorausgesetzt man ist bei einem bzw. einer Vertragsphysiotherapeut*in. Bisher waren physiotherapeutische Behandlungen bei Vertragstherapeut*innen, die zur Gänze von der Krankenkasse bezahlt wurden, nur in Wien, Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg möglich. Nun wird dies auch in Niederösterreich, Burgenland, Steiermark und Kärnten möglich sein. Bundesweit werden 590 Planstellen vergeben (im Burgenland sind 18 geplant). Weiterhin gibt es aber auch die Möglichkeit, einen Wahlphysiotherapeuten bzw. eine Wahlphysiotherapeutin aufzusuchen. Hier bleibt weiterhin ein Selbstbehalt. (Dieser fällt bei den Vertragsphysiotherapeut*innen weg.) Der Weg zur physiotherapeutischen Behandlung bleibt für die Patient*innen gleich. Die Leistung – egal ob sie von Vertrags- oder Wahltherapeut*innen erbracht wird – muss von Haus- oder Fachärzt*innen verordnet werden. Die Bewilligung, um eine Rückerstattung beantragen zu können, wurde bislang vom Chefarzt vorgenommen (Covid-bedingt ist diese derzeit ausgesetzt und nicht nötig, Stand Mitte Jänner 2022).

Einheitlicher Tarif für Rückerstattung bei Wahlphysiotherapeut*innen in allen Bundesländern: Die Kostenerstattung wird für Patient*innen von Wahltherapeut*innen 80% des Kassentarifs betragen.


Prof.in (FH) Heike Bauer-Horvath, MA
ist Studiengangsleiterin für Physiotherapie am Department Gesundheit der Fachhochschule Burgenland am Campus Pinkafeld und Mitglied des Präsidiums des Bundesverbandes der Physiotherapeut*innen Österreichs (Physio Austria).

.

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von anchor.fm zu laden.

Inhalt laden


Experteninterview

Heike Bauer-Horvath, MA ist Studiengangsleiterin für für Physiotherapie am Campus Pinkafeld der FH Burgenland und sie ist Mitglied im Präsidium PhysioAustria, dem Bundesverband der Physiotherapeut*innen Österreichs. prima! hat sich mit der FH-Professorin darüber unterhalten, wie man im Alltag mit gezielten Übungen gegen Rückenschmerzen vorgeht und worauf man achten sollte, damit man einer Fehlhaltung vorbeugt.

Unser Bewegungsapparat ist ein wirklich höchst kompliziertes System aus Knochen, Bändern, Sehnen, Muskeln, Gelenken, Nerven etc. Man hört immer wieder, dass man pro Tag mindestens 10.000 Schritte zurücklegen sollte. Andere Quellen reden von zehn bis 15 Kilometer. Was wird denn nun empfohlen?

Prof (FH) Heike Bauer-Horvath, MA: Es gibt ganz klare Bewegungsempfehlungen von der WHO und vom Fonds Gesundes Österreich. Man sollte in der Woche mindestens 150 Minuten Ausdauerbewegung betreiben, also joggen, schwimmen etc., aber man sollte auch zwei bis drei Mal Krafttraining machen. Man muss auch die großen Muskelgruppen regelmäßig trainieren, wie etwa den Oberschenkelmuskel. Da geht es um Bewegungen, die man gut im Alltag einbauen kann: Kurz hinsetzen und wieder aufstehen. Das kann man mehrmals hintereinander durchführen. Es gilt also, mit bestimmten Wiederholungszahlen und -serien diese Muskelgruppen zu beanspruchen.

Warum ist das so wichtig?

Weil die Muskulatur die Gelenke und Knochen stützt und das ist gerade im Alter, wo Knochen brüchiger werden und wo Osteoporose ein Thema ist, ein ganz wichtiger Präventionsfaktor. Man kann damit vorbeugen, dass der Knochen bei einem banalen schlechten Tritt oder Sturz stabil bleibt, weil er durch eine kräftige Muskulatur gestützt ist.

150 Minuten Ausdauerbewegung pro Woche ist ja hinzubekommen. Kann man das auf das Wochenende verlegen oder muss man das unter der Woche einteilen?

Es wäre gut, wenn ein bestimmter Rhythmus vorhanden ist. Also wenn jeden zweiten Tag das Herz und die Lunge trainiert werden und man sich regelmäßig bewegt. Es macht keinen Sinn, wenn man das auf einen Tag oder auf das Wochenende verlegt, denn dadurch kann es zu einem Überreiz kommen. Das wiederum führt dazu, dass man in einen Ermüdungs- bzw. Erschöpfungszustand fällt und dann zwei Tage außer Gefecht gesetzt ist, weil man ausgepowert ist.

Kann man sich auch falsch bewegen?

Ich finde, der Schmerz ist ein gutes Signal. Wenn es weh tut, ist es ein Zeichen, dass der Körper nicht richtig belastet worden ist. Aber viele Personen leiden unter chronischen Schmerzen. Da haben wir das Problem, dass ein banaler Reiz, der bei einem Gesunden keinen Schmerz auslöst, hier schon als solcher empfunden wird. Das heißt, bei chronischen Schmerzpatient*innen muss man wirklich sagen: Auch wenn es weh tut, muss man schauen, dass man sich bewegt. Bei chronischen Schmerzpatient*innen gibt es ein Schmerzgedächtnis. Die Vorgänge im Gehirn sind verändert. Da kann ich nicht mehr davon ausgehen, dass ein Schmerz ein Alarmsignal dafür ist, dass man falsch belastet ist. Da muss man auch vorsichtig in der Beratung sein. Wir wissen hier, auch wenn es weh tut, wird der Körper nicht überbelastet. Es ist ein falsches Empfinden des Gehirns und man sollte trotzdem einfach in Bewegung bleiben. Man wird merken, dass das Schmerzempfinden mit den regelmäßigen Reizen weniger wird.

Wäre nicht generell eine professionelle Anleitung wichtig, wenn man eine Sportart ausübt, damit man weiß, wie man es richtig macht?

Ja, das ist natürlich zu empfehlen. Beispielsweise gerade die Nordic Walking Stöcke können bei Wirbelsäulenbeschwerden unterstützen. Nur muss man diese Stütz-Abdruck-Technik wirklich erlernen. Viele Personen tragen die Stöcke mit sich mit, was eher zu Verspannungen führt, als dass diese Unterstützung genutzt wird. Da ist es sicherlich ganz sinnvoll, dass man sich diese Technik zeigen lässt und zwischendurch auch mal ein Update macht.

Was ist schädlicher: Viel stehen oder viel sitzen?

Eine statische Position an sich ist schädlich. Aber wenn man die Einwirkung der Schwerkraft mitberücksichtigt, kann man schon sagen, dass das Sitzen schädlicher ist, weil durch die abgewinkelte Position der Körper mehr der Schwerkraft nachgibt. Aber natürlich ist ein ganz ruhiges Stehen, wo keine Muskelanspannung vorhanden ist, sondern man passiv in den Bändern hängt, auf Dauer auch überlastend für die passiven Strukturen wie Bänder, Bandscheiben, Knorpel, Knochen.

Was kann ich zwischendurch machen, um meinen Rücken zu entlasten?

Ganz wichtig ist, dass man die statischen Positionen regelmäßig auflöst. Wenn man am PC arbeitet und nebenbei Radio hört, kann man zum Beispiel alle Stunden bei den Nachrichten aufstehen. Diese wechselnden Positionen sind wichtig. Viele haben ja auch einen Drehsessel. Wenn man beispielsweise einen Ordner holen muss, dann wäre es gut, wenn man nicht mit dem Sessel hinrollt, sondern aufsteht und den Ordner holt.

Günstig ist auch, wenn man sich Signalpunkte wohin klebt. Also beispielsweise ein Smiley, um sich daran zu erinnern, dass man sich durchstreckt. Zwischendurch über den Sessel nach hinten durchlehnen, als ganz kurze Ausgleichsübung bzw. -bewegung. Mehr braucht es nicht.

Auch im Raum herumgehen beim Telefonieren. Ist das sinnvoll?

Absolut. Homeoffice hat dazu geführt, dass wir den Weg zur Arbeit verloren haben. Deshalb ist es auch im Homeoffice ganz wichtig, eine Tagesstruktur aufzubauen, sich ganz normal in der Früh anzuziehen, kurz rauszugehen, eine kleine Runde um den Häuserblock zu machen, so als ob man zur Arbeit geht. Auch sollte man zwischendurch Pausen machen und nach dem Mittagessen auch kurz raus an die frische Luft gehen. Es hat sich schon gezeigt, dass sich die Menschen durch das Homeoffice noch weniger bewegt haben und die Beschwerden im Stützapparat angestiegen sind.

Worauf soll man beim Arbeitsplatz achten?

Ergonomische Sessel sind wichtig. Das bedeutet, dass die normale Krümmung der Wirbelsäule unterstützt wird. Dass man den Oberkörper anlehnen kann, ohne dass die Muskulatur aktiv sein muss. Die großen Bälle bzw. ergonomischen Knie-Hochstühle sind gut, aber es muss mir bewusst sein, dass das ein Trainingsgerät ist. Das heißt, ich muss aktiv sein. Ich kann sie in einer Phase nutzen, wo ich nicht ganz konzentriert bin. Wo ich an einem Meeting teilnehme, wo ich etwas anhöre, wo ich vielleicht telefoniere. Denn es braucht schon eine Aufmerksamkeit, damit ich mich auf diesem Trainingsgerät richtig aufrichte. Es ist zu empfehlen, aber nicht als Dauersitzgelegenheit, sondern als etwas, das man zwischendurch kurz einmal einbaut.

Aber muss man nicht auch wissen, wie man auf so einem Gerät genau sitzt.

Ja genau. Physiotherapeut*innen sind in dieser Individualberatung tätig. Das heißt, sie schauen sich den Arbeitsplatz an, schauen sich die Sitzposition an, sie schauen, wie es mit der Tischhöhe ist, mit der Einstellung des Sessels etc. Wir sind ja unterschiedlich groß und haben unterschiedliche Gewichte zu tragen. Es geht darum, die genaue Sitzposition und Haltung in der individuellen Umgebung genau zu analysieren und Tipps zu geben. Es kann zum Beispiel Sinn machen, die Tischplatte ein wenig zu neigen, um sich nicht so weit vorbeugen zu müssen oder dass man eine Fußerhöhung benutzt.

Wir komme ich zu solchen Tipps von Physiotherapeut*innen?

Das ist Teil der betrieblichen Gesundheitsförderung. Es wird wirklich individuell der Arbeitsplatz angeschaut: Wie steht der Körper zum Tisch, zum Fließband etc.? Es wird geschaut, was es für Adaptionen gibt, um es optimal einzustellen, aber auch um zu schauen, was diese Person für spezielle Ausgleichs- oder Dehnübungen braucht.

Wo kann man sich hinwenden, wenn man eine solche Beratung möchte?

Physiotherapeutische Präventionsmaßnahmen bei Erwachsenen werden auch im Zuge einer betrieblichen Gesundheitsförderung (Infos unter www.physioaustria.at, fachliches Netzwerk „Arbeit, Gesundheit und Prävention“) angeboten.

Auch psychische Belastungen können zu Rückenschmerzen führen. Wie ist das möglich und was kann ich dagegen tun?

Der psychosoziale Kontext ist ein ganz wesentlicher. Wir wissen auch, dass Personen, die ganz normale Röntgen- oder MRT-Befunde haben, unter chronischen Schmerzen leiden können. Dieser Zusammenhang zwischen Existenzangst und Rückenschmerzen ist gut erforscht und ist evident. Man kennt ja auch den Spruch, dass einem die Angst im Nacken sitzt. Das bedeutet, dass Nackenschmerzen vorhanden sind, obwohl die Bandscheibe keine Auffälligkeiten zeigt. Für uns ist wichtig: Wenn wir mit solchen Personen zu tun haben, ist es wichtig, im Rahmen eines Vorgespräches einige Punkte abzuklären: Wie lebt die Person? Lebt sie in einer Partnerschaft? Wie ist die Arbeitssituation, gibt es finanzielle Probleme? Man versucht die begleitenden Faktoren herauszufinden. Die beste Physiotherapie nützt nichts, wenn man nicht auch diese Faktoren berücksichtigt. Oft ist ein interprofessioneller Ansatz notwendig und wir verweisen dann auf Psychotherapeut*innen oder Sozialarbeiter*innen, die beraten oder einfach Informationen geben, wo es Fördermöglichkeiten gibt, damit die Belastung wegfällt. Wir wissen, dass wir chronische Beschwerden dann gut behandeln können.

Immer mehr Jugendliche sind von Rückenschmerzen betroffen. Die Folgen sind Haltungsschäden und Übergewicht. Der „Smartphone-Nacken“ ist ein Phänomen unserer Zeit. Nehmen Sie das auch so wahr?

Wir kennen es unter Text-Neck-Syndrome. Hier wird der Nacken stark beansprucht. Ich hatte letztes Jahr mit einer Studiengruppe des Abschlussjahres ein Projekt zu dem Thema gemacht. Sie haben über Social Media der FH Burgenland einfache Tipps gegeben, um den Nacken zu entlasten. Es reicht zum Beispiel schon, wenn man auf der Couch sitzt und einen Polster auf die Oberschenkel gibt und dort den Laptop positioniert. Da ist er schon höher und ich muss nicht so weit nach unten schauen. Ich sollte möglichst gerade auf meinen Bildschirm schauen.

Man muss wissen, wie man den Laptop oder das Handy positionieren kann, dass der Kopf und der Nacken in einer stabileren Position und nicht so stark belastet sind, damit die Verspannungen nicht höher werden. Es gibt einfache Möglichkeiten – wie etwa den Kopf an die Wand anlehnen und im Stehen die Nachrichten durchschauen – das ist schon manchmal eine gute Lösung.

Was kann ich noch machen, wenn ich bei meinem Kind merke, dass es eine schlechte Haltung hat?

Es ist wichtig, dass man die Bewegung „promotet“. Das Handy ist nicht verboten. Aber es ist wichtig, das Kind zu motivieren, rauszugehen. Ein bis zwei Stunden täglich sind ideal. Wenn man sieht, dass das Kind schon eine schiefe Haltung hat und vielleicht schon eine skoliotische Fehlhaltung entstanden ist, ist es wichtig, Expert*innen hinzuzuziehen und das physiotherapeutisch abzuklären – auch wenn noch keine Beschwerden aufgetreten sind. Gerade dann soll das im Vorfeld abgeklärt werden. Wenn schon einmal Beschwerden vorhanden sind, ist der Weg ein viel mühevollerer. Mit einfachen Übungen zwischendurch kann man dagegenwirken, dass sich diese skoliotische Fehlhaltung verstärkt oder in eine manifeste Skoliose verändert.

Gibt es ein paar Punkte, auf die bei Kindern grundsätzlich immer zu achten ist – sozusagen als Basis.

Das Schuhwerk ist wesentlich. Wenn die Basis nicht passt, kann sich der Körper darüber nicht adäquat einordnen. Das heißt, ich brauche Schuhe, die Halt geben, die aber doch flexibel sind. Die Sohle soll nicht steif sein, denn sonst kann man nicht gut abrollen. Dadurch ergeben sich schlampige Haltungen. Die Schuhe müssen außerdem groß genug sein. Damit der Fuß gut das Abrollverhalten entwickeln kann, sollte gerade bei Kindern eineinhalb Zentimeter Platz sein.

Auch die Kleidung ist wichtig und wirkt sich auf die Haltung aus. Wenn man enge Hosen oder Hüfthosen anhat, sinkt man automatisch ein. Man muss sich gegen Widerstand aufrichten. Es sollte im Beckenbereich eine gewisse Bewegungsfreiheit bestehen bleiben und das Becken muss sich nach vorne rollen können.

Und wichtig ist natürlich auch die Schultasche. Sie soll nicht zu weit über die Halswirbelsäule Richtung Kopf reichen. Aber auch nicht zu weit hinunter Richtung Becken. Auch das Eigengewicht ist entscheidend. Es gibt Schultaschen, die sind an sich schon drei Kilo schwer. Eineinhalb Kilo wäre ideal. Und sie muss sich anpassen. Der Rücken sollte gut ausgepolstert sein und am besten ist, wenn sie Gurte hat, die man im Bereich des Beckens und im Bereich des Brustkorbes zuschnallen kann.

Aktentaschen oder einseitige Hängetaschen sind wahrscheinlich nicht zu empfehlen?

Nein, alles, was in eine Drehbewegung hineingeht, wo eine Asymmetrie entsteht, ist schlecht. Auch die Trolley-Schultaschen. Man ist auch hier verdreht und asymmetrisch. Wichtig ist, dass die Schultasche gut am Körper fixiert ist. Auch die Packtechnik ist entscheidend. Wichtig ist, dass die schwersten Sachen ganz knapp am Rücken sind. Die Trinkflaschen sind oft auf einer Seite reingesteckt. Da ist es günstiger, wenn man sie auf zwei kleine Flaschen links und rechts verteilt, damit eine symmetrische Situation entsteht.
Und was geht, in der Schule lassen. Die elektronischen Schulbücher kommen verstärkt zum Einsatz und sind sicher ein Vorteil.

Ab dem heutigen Jahr wird die Physiotherapie bundesweit auf Kassenkosten verfügbar sein. Bisher waren physiotherapeutische Behandlungen, die zur Gänze von der Krankenkasse bezahlt wurden, nur in Wien, Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg möglich. Ab Beginn des kommenden Jahres folgen Niederösterreich, Burgenland, Steiermark und Kärnten.

Früher gab es in jedem Bundesland eigene Tarife. Für eine Physiotherapie im Burgenland hat man einen anderen Betrag rückerstattet bekommen wie in der Steiermark oder in Wien. Jetzt gibt es eine Vereinheitlichung (betrifft Wahlphysiotherapeut*innen, Anm. d. Red.).
Was auch neu ist, ist, dass die Österreichische Gesundheitskasse mit dem Bundesverband Physio Austria neue Vertragsverhandlungen geführt hat. Die ÖGK vergibt nun Verträge an freiberufliche Physiotherapeut*innen. Patient*innen müssen nicht mehr über eine Rechnung bezahlen, sondern die Finanzierung erfolgt gleich über die ÖGK. Patient*innen haben mit der Abrechnung nichts mehr zu tun – vorausgesetzt man ist bei einem Vertragsphysiotherapeuten bzw. einer Vertragstherapeutin. Die Verordnung durch den Arzt bzw. die Ärztin bleibt gleich. Bei betrieblichen Beratungen braucht man keine Verordnung.

Im Burgenland hatte bisher keine einzige Physiotherapeutin bzw. kein einziger Physiotherapeut einen Vertrag mit der ÖGK. Das wird jetzt langsam auf Spur gebracht. Weiterhin gibt es aber auch die Möglichkeit einen Wahlphysiotherapeuten bzw. eine Wahlphysiotherapeutin aufzusuchen. Da ist es so, dass mit der Verordnung und Bewilligung die Patient*innen die Therapie bezahlen müssen, die Rechnung dann einreichen und sie einen bestimmten Prozentsatz zurückbekommt. Die Tarife sind zwar erhöht worden, aber es bleibt ein Selbstbehalt. Dieser fällt bei den Vertragsphysiotherapeut*innen weg.
Es wurden im Burgenland schon Verträge vergeben. Aber es ist noch nicht flächendeckend.

Für den Erfolg ist ja wichtig, dass der Patient bzw. die Patientin die Übungen ja auch konsequent durchführt. Wie motiviert man diese?

Wichtig ist, dass man eine gute Vertrauensbasis schafft. Die beste Technik nützt nichts, wenn uns die Patient*innen nicht vertrauen. Wir sind Coaches von unseren Patient*innen. Damit man sie motiviert, könnte Telerehabilitation immer wichtiger werden. Der Patient bzw. die Patientin muss nicht mehr in die Praxis. Physiotherapeut*in und Patient*in nehmen über das Internet per Video Kontakt miteinander auf und gehen die Übung nochmals durch.

Merken Sie, ob ein Patient bzw. eine Patientin die Übungen gemacht hat?

Ja. Wenn man sieht, wie unsicher die Übung ausgeführt wird oder dass sich keine Verbesserung einstellt, dann bespricht man das. Die Patient*innen sind ja auch immer ehrlich. Es geht ja um ihre Gesundheit. Wichtig ist, gemeinsam zu überlegen, wie man die Übung in den Alltag besser integrieren kann. Vielleicht war es auch die falsche Übung. Es ist wichtig, gemeinsam Ziele in kleinen Etappen festzulegen. Darauf wird hingearbeitet und den Patient*innen wird bewusst, warum sie die Übung machen. Das Ziel wird auch verschriftlicht.


Aspekte der Bewegung

Die zahlreichen gesundheitswirksamen Aspekte von Bewegung sind beeindruckend und evident. Der Fonds Gesundes Österreich stellt diese in den Bewegungsempfehlungen für Österreich dar:
• vermindertes Risiko für den vorzeitigen Tod alle Ursachen
• vermindertes Risiko für ischämische Herzkrankheiten
• vermindertes Risiko für Schlaganfall
• vermindertes Risiko für Bluthochdruck
• vermindertes Risiko für das metabolische Syndrom
• günstige Beeinflussung der Blutfette A
• vermindertes Risiko für Diabetes mellitus Typ 2
• Prävention der Körpergewichtszunahme
• Gewichtsreduktion, besonders bei gleichzeitiger Kalorienreduktion
• verbesserte kardiovaskuläre und muskuläre Fitness
• vermindertes Risiko für Stürze
• vermindertes Risiko für Darmkrebs
• vermindertes Risiko für Brustkrebs
• Reduktion von Depression
• verbesserte kognitive Funktion (bei älteren Personen)
• Verbesserung der „Aktivitäten des täglichen Lebens“ (bei älteren Personen)
• Reduktion von Abdominalfett (Bauchfett)
• vermindertes Risiko für Hüftfrakturen
• vermindertes Risiko für Lungenkrebs
• vermindertes Risiko für Gebärmutterkrebs
• Gewichtserhaltung nach Körpergewichtsreduktion
• erhöhte Knochendichte
• verbesserte Schlafqualität

(Quelle: Bewegt – Das Physiotherapie-Magazin für Österreich, Ausgabe Dezember 2020, Seite 17)


Schreibe einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

1 Antworten