Bericht

Senioren, die Krise und Bankerlsitzen

Alte Menschen hinter einer Glaswand im Corona-Lockdown, getrennt von ihren Angehörigen. Die „isolierten Alten“ sind ein Symbolbild für die massiven Auswirkungen der Maßnahmen. Doch gilt das für alle? Im Demenzzentrum Oberwart zeigt sich, dass die Seniorinnen und Senioren durch die Gemeinschaft resistent reagieren. Gruppen – eine Ressource, auf die ältere Menschen daheim nicht zurückgreifen können. Wenn dort die Angehörigen fernbleiben, wird die 24-Stunden-Betreuerin zum einzigen sozialen Kontakt. prima! über Erkenntnisse durch die Krise und die Kraft der Gemeinschaft.

Foto: Nico Mühl

Pflegeassistentin Sandra Kaar und Dr. Peter Schuh mit Damen des Demenzzentrums Oberwart. Ab September ist auch wieder die Tagesbetreuung „Seniorengarten“ in Oberwart geöffnet.

 

Der Rollator bewegt sich schneller als sonst durch den Gang. Er gibt der 81-Jährigen, die sich an ihm festhält, Sicherheit, wenn sie unterwegs ist. Gerade ist ihr Ziel die Damenrunde im Gemeinschaftsraum. Es ist wohl das Lachen, das sie anzieht. Alleine käme sie nicht auf die Idee, sich dazuzusetzen. Aber die Aufforderung von Pflegeassistentin Sandra „Gehn’s Frau Henriette, kommen’s mit. Schau’n ma, was da los ist“, hat gereicht, um aufzustehen und die Damenrunde anzusteuern.

Frau Henriette ist eine der Bewohnerinnen des Demenzzentrums Oberwart der Diakonie Südburgenland. Von alleine aktiv zu sein, gelingt ihr in ihrem Stadium der Erkrankung kaum mehr. Es braucht Menschen, die sie motivieren und auffordern, in Bewegung zu bleiben.

Dr. Peter Schuh ist Praktischer Arzt und Palliativmediziner und gilt als Geburtshelfer des Demenzzentrums Oberwart. Seit Jahrzehnten beschäftig er sich mit dem Thema. „Bei der Demenz-Erkrankung ist die Selbstständigkeit der Betroffenen der wesentliche Faktor. Wir müssen versuchen, diese so lange wie möglich aufrechtzuerhalten und so gut wie möglich zu fördern“, erklärt der Mediziner. Immer noch gibt das Krankheitsbild Demenz der Wissenschaft Rätsel auf. Ein Medikament dagegen gibt es nicht. Aber es gibt Forschungen, die unterstreichen, dass die körperliche und geistige Aktivität bei älteren Menschen aktiviert werden muss. Dies kann die Krankheit zumindest verzögern.

Demenz im Lockdown

Der Corona-bedingte Lockdown hat diesen Ansatz vor eine enorme Herausforderung gestellt. Doch nicht überall. „Gerade Senioreneinrichtungen haben einen Schutz vor einer Abnahme der kognitiven Leistung geboten. Die Bewohnerinnen und Bewohner hatten im Haus untereinander und mit dem Pflegepersonal wie gewohnt soziale Kontakte und einen einigermaßen normalen Alltag. Das hat die Vereinsamung abgefangen, denn es passiert immer etwas in der Gemeinschaft“, sagt Peter Schuh. Der Lockdown habe zu einer weltweiten Studie geführt, die so natürlich keiner wollte. Doch die Ergebnisse daraus sind interessant.

Wer kognitiv gefordert wird, kommt besser durch die Krise. Und wenn die Besuche der Angehörigen wegfallen, dann hilft die Gemeinschaft, Nähe zu anderen aufrechtzuerhalten und aktiv zu bleiben“, erklärt der Mediziner. Ältere Menschen sind resistenter, wenn sie in einer Gruppe sind. Die laufenden Evaluierungen in der Einrichtung haben gezeigt, dass sich dadurch auch der Lockdown nicht sonderlich auf die Demenz der Bewohnerinnen und Bewohner ausgewirkt hat. Der entscheidende Faktor ist dabei aber der Einsatz des Pflegepersonals. „Das war in allen Einrichtungen so, dass die Mitarbeiterinnen Großartiges geleistet haben, um die körperliche Gesundheit und die psychische Stabilität der Bewohnerinnen und Bewohner aufrechtzuerhalten“, betont Peter Schuh. Ergotherapie, Turnen, Geschichten für Demenzerkrankte, sogar ein eigener Kinonachmittag mit alten Filmen halten die Senioren im Demenzzentrum Oberwart auf Trab. Die Gruppendynamik, das gemeinsame Tun, verstärken den Effekt.

Qualitätsstandard auch in der 24-Stunden-Betreuung gefordert

Vor ganz anderen Herausforderungen stand die Branche der 24-Stunden-Betreuung während des Lockdowns. Thomas Oswald ist Inhaber der OK-Altenpfleger-Agentur in Oberwart. Die Betreuerinnen und Betreuer – der Großteil kommt aus Rumänien – waren monatelang die einzigen Kontakt- und Bezugspersonen zu den alten Menschen. Die Vereinsamung bei den Seniorinnen und Senioren daheim sei deutlich gestiegen, berichtet Oswald. Auch die Zahl der Todesfälle. „Nicht wegen Corona“, sagt Oswald. „Viele haben einfach körperlich sehr rasch abgebaut.“ Auch er hat Erkenntnisse aus der Lockdown-Zeit gezogen.

„Wir brauchen dringend Qualitätsstandards bei der 24-Stunden-Betreuung. Ausländische Betreuerinnen müssen bereits mit einem Basiswissen in Österreich eintreffen“, sagt Oswald. Und auch Angehörige brauchen dieses Basiswissen. Die letzten Monate hat er deshalb genutzt und an der Entwicklung einer Online-Ausbildung mitgearbeitet, die nun endlich am Markt ist. In einem nächsten Schritt soll dann auch das Wissen über Themen wie Demenz vertieft werden. Eine sinnvolle Beschäftigung daheim und die Aufrechterhaltung der geistigen und körperlichen Aktivität müssen auch in der 24-Stunden-Betreuung ein Thema werden.

Die Gemeinschaft suchen

Das typische Bankerlsitzen unserer Senioren ist aus den Ortschaften durch Corona völlig verschwunden. „Aber dieses Zusammentreffen und Plaudern ist wichtig für die seelische Gesundheit des älteren Menschen. Ich würde mir wünschen, dass das wieder Brauch wird“, sagt Oswald.

Peter Schuh geht noch einen Schritt weiter: „Tagesbetreuungsstätten müssen wieder forciert werden. Durch Corona sind sie aus unserem Blickfeld verdrängt worden. Es ist wichtig, dass wir uns bewusst machen, dass diese Gemeinschaften den Menschen guttun. Wir müssen aufhören zu glauben, dass wir unsere älteren Familienmitglieder dadurch abschieben. Im Gegenteil. Die Gemeinschaft ist ein wesentlicher Schritt, um ihre Gesundheit zu erhalten und gegen die Demenz vorzugehen. Das ist eine der wesentlichsten Erkenntnisse, die der Corona-Lockdown bestätigt hat.“


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