Bericht

Tatort: Zuhause

Jede fünfte Frau ist im Lauf ihres Lebens mit körperlicher Gewalt konfrontiert. Jährlich gibt es unzählige Anzeigen über Delikte der familiären Gewalt, weit über 20.000 Opfer werden jedes Jahr in den Gewaltschutzzentren betreut. Die tragische Spitze dieses Eisberges gipfelt sich jährlich in einer bitteren Anzahl an Femiziden. 31 Frauen sind 2021 in Österreich ermordet worden. 2022 waren es 28 und 2023 bereits 6 (Stand 1. März 2023). Und überwiegend sind es die (Ex-)Partner gewesen. Männer, denen diese Frauen einst in glücklichen Tagen vertraut haben und letztendlich durch deren Hand gestorben sind. Doch wie kann man zukünftigen Opfern helfen? Gefordert ist die Haltung der Politik gleichermaßen wie die der Gesellschaft. Das Gewaltpräventionsprojekt „StoP - Stadtteile ohne Partnergewalt“ hat sich zur Aufgabe gemacht, die Nachbarschaft zu sensibilisieren. Um Alarmsignale zu erkennen. Und um bei häuslichen Übergriffen zu handeln. Denn Gewalt, die geht jeden etwas an.

Foto: Shutterstock / Doidam

Das Landleben genießt oft den Ruf einer besonders familiären Atmosphäre in der Nachbarschaft. Anders als in der Großstadt, kennt man sich nicht nur vom sonntäglichen Zeitungs-Holen oder gegenseitigem Paket-Annehmen. Und gerade wenn man ein gutes Verhältnis mit den Nachbarn pflegt, wird es natürlich schwieriger, die höfliche Komfortzone zu verlassen und unbehagliche Themen direkt anzusprechen. Wenn schon wieder Streit durchs Fenster hörbar war, die Nachbarin mit Gipshand zum wiederholten Mal über die Stufen gestolpert sein soll und sie trotz Schlechtwetterperiode ständig Sonnenbrille trägt. Wenn spürbar hinter der netten Fassade der Nachbarn der Schein trügt und Tragödien passieren.

Wegschauen ist keine Option

Aber was kann man tun? Soll man sich einmischen? Ist das nicht gefährlich? „Nachbarinnen und Nachbarn sollen natürlich keine Polizeiarbeit nachahmen“, sagt Claudia Horvath-Griemann, Projektkoordinatorin der Frauenberatungsstelle Oberwart. „Es soll nie in die Selbstgefährdung gehen. Das Projekt ‚StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt‘ soll die Menschen bestärken, dass es eine große Bandbreite an Handlungsmöglichkeiten gibt. Man kann der betroffenen Person im ruhigen Moment die Folder in die Hand drücken, wo alle wichtigen Telefonnummern und Anlaufstellen gelistet sind oder direkt die Begleitung zum Beratungsgespräch vorschlagen. Oder sich mit anderen Nachbarn zusammentun und beim nächsten Streit die Akutsituation durch die gemeinsame Präsenz vor Ort zum Beispiel durch Anläuten an der Haustür stoppen. Auch eine anonyme Anzeige ist eine Möglichkeit, und letztendlich die Alarmierung der Polizei“, sagt Claudia Horvath-Griemann über die Tatsache, dass das Wegschauen keine Option sein darf.

Gewaltspirale durchbrechen

Aber Gewalt ist kein Privatproblem. Gewalt ist ein gesellschaftlich geprägtes Phänomen. Mit Schaudern erinnert sich die ältere Generation bestimmt noch an die „g’sunde Watschen“, die als tolerierte Erziehungsmethode der Kinder galt. Und die mitunter in einer Gewaltspirale in manchen Opfern von damals weiterlebt, die sie wiederum zu Tätern macht, die ihre Partner bzw. Familienmitglieder misshandeln. Seit dem Jahr 1997 gibt es das Gewaltschutzgesetz in Österreich. Seit damals ist die Polizei dazu ermächtigt, ein Betretungsverbot gegenüber einer gewalttätigen Person auszusprechen. Seit 1.1. 2020 gibt es zusätzlich ein Annäherungsverbot auf weniger als 100 Meter. Jedes Bundesland hat ein Gewaltschutzzentrum als Anlaufstelle für Betroffene.

Gleichwürdige Beziehungen stärken

Aber strengere Gesetze sind nur ein Teil des Lösungsansatzes, beschreibt Claudia Horvath-Griemann: „Wichtig ist die breite Bewusstseinsbildung, wie Gewalt entsteht. Das beginnt schon in frühen Kindheitstagen, zum Beispiel mit geschlechterspezifischer Sozialisation. Reflektieren und Hinterfragen von gängigem Rollendruck und strukturellen Geschlechterungleichheiten in der Erziehung sind ein wichtiger Präventionsansatz. Denn gleichwürdige Beziehungen auf Augenhöhe zwischen Mann und Frau tragen ein viel geringeres Risiko von Partnerschaftsgewalt. Männer sollen auch nicht als potenzielle Täter unter Generalverdacht gestellt werden. Aber der präventive Dialog quer durch alle sozio-ökonomischen Bevölkerungsschichten ist entscheidend.

Die Politik kann hier Haltung zeigen und Rahmen setzen, die die Zivilgesellschaft dazu ermutigt, welche Werte in unserem gemeinsamen Alltag weitergetragen werden sollen. Das gilt auch für die Werteunsicherheit der Opfer, die mit Schuld und Scham behaftet sind, den Fehler nach wie vor bei sich selber suchen und schlimmstenfalls den Schein der heilen Welt möglichst aufrecht halten wollen. Zu ihrem eigenen Leidwesen und auch oft zu jenem der Kinder. Partnerschaftsgewalt und Gewalt in der Familie muss enttabuisiert werden.“


Sie sind von Gewalt betroffen?

Es gibt Hilfe!
www.stop-partnergewalt.at

Frauenhelpline gegen Gewalt:
Beratung rund um die Uhr, anonym und kostenlos, 365 Tage im Jahr
0800 222 555

Frauen-, Mädchen- und Familienberatungsstelle Oberwart
Prinz Eugen-Straße 12, 7400 Oberwart
Tel. 03352 33 855
oberwart@frauenberatung-burgenland.at
www.frauenberatung-burgenland.at

Frauen- und Mädchenberatung
Hartberg-Fürstenfeld. Rotkreuzplatz 1, 8230 Hartberg,
office@frauenberatung-hf.at,
03332 62862, www.frauenberatung-hf.at

Polizeinotruf: 133


Das rät die Polizei im Fall von Gewalt in der Nachbarschaft

Chefinspektor Fritz Wurglits,
Leiter des Kriminaldienstreferates für den Bezirk Oberwart:

Ist tatsächlich körperliche Gewalt im Spiel, dann ist klar davon abzuraten, den „Helden“ zu spielen.

In solchen Notfällen immer sofort den Polizeinotruf 133 wählen. Rechtzeitiges Handeln kann Leben retten!

Hat der Nachbar/Freund/Bekannte jedoch nur einen vagen Verdacht von körperlicher oder seelischer Gewalt im häuslichen Bereich, dann macht es vor einer Verständigung der Polizei durchaus Sinn, das Gewaltschutzzentrum in Kenntnis zu setzen bzw. um einen Rat oder Hilfe zu ersuchen.

Bei Unsicherheiten oder wenn jemand nicht weiß, wie er sich in solchen Angelegenheiten helfen soll, kann sich jedermann (auch  anonym)  an das Gewaltschutzzentrum wenden.


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