Bericht

Der allerletzte Wille – Beihilfe zum Sterben

Der Tod gehört zum Leben, das ist in unserem Dasein als Gewissheit unverhandelbar. Allerdings ist das Sterben ein heikles Tabuthema, mit dem wir uns ungern auseinandersetzen. Vor allem wenn es um Menschen geht, die eine lebensbedrohliche, unheilbare Krankheit haben oder am Ende ihres Lebens stehen. Aktive Sterbehilfe ist und bleibt in Österreich verboten. Der Verfassungsgerichtshof hat allerdings ein Machtwort gesprochen und die Beihilfe zum Selbstmord nun legalisiert. Stichwort „Selbstbestimmung“. Warum Palliativmediziner*innen dennoch dagegenhalten und wie die juristische Sachlage ist, hat prima! erfragt.

Foto: Shutterstock / Studio Buddy

Die Argumente des Verfassungsgerichtshofes sind durchaus nachzuvollziehen. Es sei nicht im Sinne der Verfassung, Menschen mit hohem Leidensdruck in der letzten Lebensphase unter allen Umständen zu verbieten, dass sie den Zeitpunkt des Ablebens selbst bestimmen dürfen. Oder Menschen strafrechtlich anzuklagen, die auf ausdrücklichem Wunsch der betroffenen Personen beispielsweise das Zugticket in die Schweiz, wo die Sterbehilfe legal ist, besorgt haben. Denn unter diesen Umständen des allumfassenden Verbots der Beihilfe würden die Betroffenen möglicherweise in einen grausamen Suizid gedrängt werden oder einen einsamen und schmerzhaften Tod erleiden. Die Grundidee dieser Änderung sei die verfassungsrechtlich relevante Möglichkeit, auf eigenen Willen menschenwürdig zu sterben.

„Nicht die Aufgabe der Palliativbetreuung“

Für Dr. Michaela Wagner, Ärztliche Leiterin des Mobilen Palliativteams im Burgenland, ist diese Entscheidung mit großer Skepsis zu betrachten. „Assistierter Suizid ist für mich kein Bestandteil der palliativen Betreuung. Die Begleitung schwer kranker, sterbender Menschen in der letzten Lebensphase ist eine intensive, aber sehr wichtige Zeit für alle Beteiligten, ein frühzeitiges Herbeiführen des Sterbens sehe ich nicht als unsere Aufgabe. Natürlich steht die bestmögliche Autonomie der Patientinnen und Patienten im Vordergrund. Und wenn der Wunsch im Leidensdruck geäußert wird, so nicht mehr leben zu wollen, dann liegt die Betonung meist auf dem ‚so‘ und nicht auf dem ‚leben‘. Denn wir haben palliativmedizinisch und interdisziplinär viele Möglichkeiten, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Sei es zum Beispiel durch Linderung von Schmerzen und Ängsten, die Beratung im Bereich der Palliativpflege oder Unterstützung von sozialen und psychischen Nöten. Wenn die Menschen in dieser letzten Lebensphase gut betreut sind und auch die Angehörigen eingebunden sind, dann besteht erfahrungsgemäß kein Wunsch nach assistiertem Suizid“, schildert die Palliativmedizinerin. Und sie ortet auch das Risiko, dass die betroffenen Menschen unter Druck geraten könnten, wenn diese Option in Reichweite ist, weil sie ihren Angehörigen nicht zur Last fallen wollen: „Und niemand soll sich rechtfertigen müssen, warum man trotz Krankheit, körperlicher Schwäche und Pflegebedarf weiterleben möchte!“

Gesetzliche Grauzone

Nun ist die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs nicht mehr zu revidieren, ab 1. Jänner 2022 ist jede Beihilfe zum Suizid als straffrei zu betrachten. Eigentlich wäre im Laufe des Jahres der Gesetzgeber am Ball gewesen, hier die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, was aber bis Ende Oktober nicht geschehen ist. Dass sich das noch rechtzeitig ausgeht, bezweifelt auch Medizinrechtsexperte Univ.-Prof Dr. Karl Stöger, MJur, vom Institut für Staats- und Verwaltungsrecht. „Mit dieser Pauschalermächtigung ist eine riesige Grauzone mit fundamentalen Fragen vorhanden, die dringend eine politische Koordination benötigt. Es muss klar geregelt werden, wer, unter welchen Umständen, nach welchem Motiv und mit welcher Methode einem sterbewilligen Menschen helfen darf und wer diesen Prozess beziehungsweise das Vorhandensein des Sterbewunsches kontrolliert“, warnt der Medizinrechtler vor dieser neuen Ausgangssituation. Als wesentliche Bedingung im Sinne der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes gelte, dass die betroffene Person nicht unter Druck gesetzt wird, und der freie Wille nachweislich vorhanden ist. Denn die „Verleitung zum Suizid“ ist und bleibt weiterhin eine schwere Straftat.

 

UPDATE 23. 10. 2021

Neues Sterbeverfügungsgesetz verkündet

Zum Redaktionsschluss dieses prima!-Artikels in der Print-Ausgabe war die überraschende gesetzliche Neuregelung seitens Türkis-Grün noch nicht verkündet. Nun soll das vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Verbot zur Beihilfe zum Selbstmord doch noch rechtzeitig eine gesetzliche Regelung bekommen.

Dabei ist die Straffreiheit von assistiertem Suizid an gewisse Bedingungen gebunden, zumal Minderjährige und Personen mit verwerflichen Beweggründen (zB. „Erbschleicherei“) ausgenommen sind. Auch Menschen, die nicht dauerhaft schwer bzw. unheilbar krank sind, oder jenen die keine notarielle Sterbeverfügung veranlasst haben, darf auch in Zukunft nicht straffrei beim Sterbewunsch geholfen werden.

Durch ein Aufklärungsverfahren durch zwei Ärzte und im Bedarf auch Psychiater oder Psychologen soll die Handlungsfähigkeit und Freiwilligkeit der Betroffenen sichergestellt und attestiert werden. Die Sterbeverfügung wird dann in einem zentralen Register eingetragen und in Folge den sterbewilligen Menschen in der Apotheke ein Präparat ausgehändigt. „Wobei das Arzt- oder Apothekerpersonal weder zu dieser Handlung verpflichtet, noch wegen einer Weigerung bzw. Mitwirkung benachteiligt werden soll“, wie die Ministerinnen Alma Zadic (Justiz) und Karoline Edtstadler (Verfassung) betonen.

Gleichzeitig ist ein bundesweiter Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung in Österreich geplant.


Die rechtliche Lage:

„Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“ Strafgesetzbuch § 78, Mitwirkung am Selbstmord.
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat Ende des Jahres 2020 jenen Teil dieses Paragrafen 78 aufgehoben, der die Hilfeleistung zum Suizid unter Strafe stellt. Es sei wider die Verfassung, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten, denn hier sei das Recht auf Selbstbestimmung missachtet.

Vorausgegangen ist eine Klage von betroffenen, sterbenskranken Menschen. Die Aufhebung dieser Bestimmung tritt nun mit Ablauf des 31. Dezember 2021 in Kraft. Eine klare gesetzliche Regelung ist allerdings noch nicht in Sichtweite, die Grauzone ist enorm (Stand 20. Oktober 2021). Weiterhin verboten bleibt auf jeden Fall das „Verleiten zum Suizid“ und die „Tötung auf Verlangen“.


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