Bericht

Holocaust vor der Haustür 30 Jahre RE.F.U.G.I.U.S.

Ein verdrängter Massenmord, die schier endlose Suche nach den Opfern, unermüdliches und
mahnendes Gedenken – gegen alle Widerstände und Zweifel: Das prägt die vor drei Jahrzehnten
entstandene Initiative RE.F.U.G.I.U.S. Die Geschichte des für seine beispiellos engagierte Erinnerungskultur
auch über die Grenzen Österreichs hinaus bekannten Vereins erscheint demnächst als Buch.
Mitherausgeber Walter Reiss bietet für prima! schon jetzt exklusive Einblicke in Arbeit und Wirken
jener Gruppe von etwa zwölf ehrenamtlich tätigen Frauen und Männern, die den Kreuzstadl bei
Rechnitz zu einem Ort des Erinnerns und des Nachdenkens gestaltet haben.

zVg

Das Areal des Kreustadels heute – mit dem Infobereich. Unten: Der Kreuzstadel Ende der 1980er-Jahre

Seit 30 Jahren: Aktive Erinnerungskultur

Mitte der 1980er-Jahre begann eine neue Generation unter dem Eindruck der „Waldheimaffäre“ (Debatte um die vermutete Beteiligung des damaligen Bundespräsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim an Kriegsverbrechen in der NS-Zeit. Er hatte seine Tätigkeiten als Offizier der Wehrmacht von 1942 bis 1944 in seiner Biografie nicht erwähnt und bestritt jede Beteiligung an NS-Verbrechen und jede Kenntnis davon) Fragen nach der Verantwortung und Beteiligung der Österreicherinnen und Österreicher an den Verbrechen des Zweiten Weltkrieges und am Holocaust zu stellen. Auch im Burgenland entstanden rund um jene Personen, die später den Verein RE.F.U.G.I.U.S. gründeten, erste Aktionen für ein Mahnmal beim Kreuzstadl. Ideengeber:innen und Aktivist:innen der ersten Stunde waren u.a. der Bildhauer Karl Prantl, der Pianist Paul Gulda, die Antifaschisten Hans Anthofer und Horst Horvath sowie die Politologin und heutige Vorsitzende der Volkshochschulen Christine Teuschler.

Der Kreuzstadl – einst und heute

1991 formierte sich die Kreuzstadlinitiative, um an die Gräuel der Naziherrschaft und die Ermordung von 180 ungarischen jüdischen Zwangsarbeitern beim Kreuzstadl im März 1945 in Rechnitz zu erinnern. 1992 entstand daraus der Verein RE.F.U.G.I.U.S. 1993 wurde der Kreuzstadl aus Privatmitteln angekauft und im Rahmen einer Gedenkfeier dem Bundesverband der israelitischen Kultusgemeinden als Ort des Gedenkens und Mahnens übergeben Damals begann auch die Suche nach jener Stelle, an der die Ermordeten verscharrt wurden, um den Toten eine würdige Grabstätte zu geben. Seither gab es etwa 18 Versuche, die bisher alle erfolglos geblieben sind. Im März 1995 fand anlässlich des 50sten Jahrestages des Massakers beim Kreuzstadl erstmals eine Gedenkveranstaltung mit der Enthüllung eines Gedenksteines von Karl Prantl, statt. Damit wurde die Tradition des jährlichen Gedenkens an die Opfer des Kreustadlmassakers begründet.

Der Verein RE.F.U.G.I.U.S. bemüht sich seither, diesen Ort als lebendiges Mahnmal zu erhalten. Rund um die Gedenkfeiern wurden und werden zahlreiche Veranstaltungen wie Benefizkonzerte, Ausstellungen und jährliche Symposien durchgeführt. Diese sollen zur Wachsamkeit gegenüber antidemokratischen und rassistischen Strömungen aufrufen.

Im Jahr 2000 erweiterte RE.F.U.G.I.U.S. das Areal des Kreuzstadls durch einen weiteren Grundstücksankauf. 2001 wurde das Gelände mit Ahornbäumen umfriedet und im Rahmen der Gedenkfeier der Öffentlichkeit präsentiert.

Ab nun stellte sich für den Verein die Frage einer weiteren Ausgestaltung des Geländes. Die Idee eines „Museums“, das allen Opfern des Südostwallbaus gewidmet sein soll, entstand. 

Begegnungs-, Lern- und Informationsort 

2012 konnte schließlich der Informationsbereich durch den damals amtierenden Bundespräsidenten Heinz Fischer eröffnet werden. Mit Schautafeln, Videointerviews und Objekten wird dargestellt, wie es dazu kam, dass 1944/45 Zivilpersonen, Fremdarbeiter:innen und Zwangsarbeiter:innen zum Bau der völlig sinnlosen Militärstellung „Südostwall“ gezwungen wurden. Für Zehntausende unter ihnen, Juden und Jüdinnen aus Ungarn, bedeutete das Qual und Ermordung, am Bau oder auf den Todesmärschen Richtung KZ Mauthausen. Die Gedenkstätte Kreuzstadl erinnert an dieses Geschehen, das sich so in Rechnitz und an vielen anderen Orten zugetragen hat. Die zentrale Botschaft von RE.F.U.G.I.U.S. ist auf einer der 13 großen Glastafeln nachzulesen:

„Nur das Erinnerte, nicht das Vergessene, lässt uns lernen. Wir alle gestalten Geschichte, die Geschichte formt uns. Suchen wir Antwort auf Geschehenes, tragen wir Verantwortung für die Zukunft.“ 

Die Erhaltung und Belebung der Gedenkstätte durch Begleitungen vor Ort sowie Infoveranstaltungen, Vorträge und Workshops waren und sind Schwerpunkte der Vereinsarbeit. Auch die Pflege jüdischer Friedhöfe und die Errichtung von Gedenkwegen an einst lebendige jüdische Gemeinden (Rechnitz, Oberwart) zählen zu den Projekten von RE.F.U.G.I.U.S. 


Der Südostwall – das Massaker

Das Burgenland wurde, bedingt durch seine Grenzlage zu Ungarn, in der Endphase der NS-Zeit zu einem Schauplatz extremer Erniedrigungen und Gräueltaten an ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter:innen.

In Rechnitz fand wenige Tage vor Kriegsende ein Massaker unter besonders grausamen Umständen statt. An die 1 000 ungarische Jüdinnen und Juden wurden vom Lager Köszeg/Güns (Ungarn) mit der Eisenbahn über die Grenze in den kleinen Ort Burg transportiert. 200 kranke, für den Arbeitseinsatz zu schwache Männer brachte man einige Kilometer zurück zum Bahnhof Rechnitz. Am Abend desselben Tages fand im Schloss Batthyány in Rechnitz ein NSDAP-Kameradschaftsfest statt, bei dem 40 bis 50 Personen anwesend gewesen sein dürften. Laut Zeugenaussagen erhielt der NSDAP-Ortsgruppenleiter Franz Podezin einen Anruf, woraufhin er 15 Männer bewaffnen ließ. Diese Gruppe machte sich vom Schloss aus auf den Weg in die Nähe des sogenannten Kreuzstadls, wohin in der Zwischenzeit die völlig erschöpften Juden gebracht worden waren. Dort ermordeten sie nach Mitternacht 180 Menschen. Danach kehrten sie ins Schloss zurück, um weiter zu feiern. 

Bereits im April 1945 ordnete die sowjetische Besatzungsbehörde die Öffnung des Massengrabes an. Es wurde ein Protokoll der Gräberöffnung erstellt, die Toten wurden aber nicht umgebettet. Im Frühjahr 1946 wurde das Grab im Zuge der Voruntersuchungen zum Volksgerichtsprozess Rechnitz I neuerlich geöffnet. Bei der Exhumierung war der Rechnitzer Arzt zugegen. Nachdem dieser die Toten begutachtet hatte, wurde das Grab wieder zugeschaufelt. Es folgten Jahrzehnte des Verdrängens und Vergessens.


RE.F.U.G.I.U.S. – Programm 2023:

Samstag, 25. März: 13.00 – 18.00 Uhr, Rathaus Oberwart: Tagung „GEDENKEN – NEU DENKEN“

Sonntag, 26. März

14.00 Uhr: Gedenkfeier beim Kreuzstadl, Rechnitz

16.00 Uhr, Mittelschule Rechnitz: „30 Jahre RE.F.U.G.I.U.S.“ mit Buchpräsentation


Informationsbereich beim Kreuzstadl Rechnitz.

Kreuzstadl Gedenkstätte.

Teilnahme des damaligen BundespräŠsidenten Heinz Fischer am 25. März 2012 an der Gedenkfeier fŸür die Opfer des Rechnitzer Kreuzstadlmassakers.

(Zum Vergrößern auf das Bild klicken)

 

Buchbestellung:

www.lexliszt12.at

ISBN: 978-3-99016-239-2


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