Der „Digitalrebell“
Walter Reiss im Gespräch mit dem grünen Ex-Landtagsabgeordneten und Ex-EU-Parlamentarier Michel Reimon über sein Polit-Comeback, mit welchen Themen er die Grünen wieder ins Parlament bringen will und welche Rolle für den studierten Journalisten die sozialen Medien spielen.
Foto: Büro Reimon
Michel Reimon
Die Online-Ausgabe des renommierten deutschen Magazins „DIE ZEIT“ nannte ihn „Österreichs erfolgreichsten Social-Media-Politiker“. Das war 2015, als er in sozialen Netzwerken unermüdlich gegen das Freihandelsabkommen TTIP mobilisiert hat. Auf Facebook und vor allem auf Twitter war Reimon rund um die Uhr präsent, noch lange, bevor HC Strache und Sebastian Kurz Massen von virtuellen Fans um sich geschart haben. Seine Politkarriere als Mandatar ist vor allem von zwei Stationen geprägt: 2010 bis 2014 war er für die Grünen im Burgenländischen Landtag, dann errang er auf dem zweiten Listenplatz der Grünen bei der EU-Wahl ein Mandat.
Im Oktober 2018 kündigte er seinen Rückzug an: Familie, Firmengründung, Doktoratsstudium und Bücherschreiben seien angesagt. Dann wirbelte das Ibiza-Video die heimische Innenpolitik durcheinander. Und der gelernte Journalist und nie um getwitterte Pointen verlegene Politiker liebäugelte sofort mit einem Polit-Comeback. Auf dem Bundeskongress der Grünen will sich der gebürtige Siegendorfer um ein Nationalratsmandat bewerben. Studium, Firma und Bücher können noch warten…
Update 6. Juli 2019
Am Grünen Bundeskongress am 6. Juli wurde Michel Reimon auf Platz 4 der Bundesliste gewählt.
Schon vor der Zeit als grüner Landtagsabgeordneter haben Sie 2009 die geplante Gründung einer Firma im Bereich „Organisationsentwicklung“ verschoben. Zehn Jahre später geben Sie – nach kurzem Rückzug – wieder der Politik den Vorzug. Warum?
Michel Reimon: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Ich wollte immer schon ein Politiker sein, der ein zweites berufliches Standbein hat. Aber Ibiza und die Folgen lassen einen politisch denkenden Menschen nicht kalt. Und Werner Kogler hat gemeint, er hätte mich gerne im Team.
Aber noch ist nix wirklich fix: Der Bundeskongress der Grünen Anfang Juli muss erst entscheiden, ob Michel Reimon wirklich einen aussichtsreichen Listenplatz für ein Nationalratsmandat bekommt.
Michel Reimon: Gegessen ist das Ganze natürlich noch nicht. Aber ich rechne mir gute Chancen aus für einen aussichtsreichen Listenplatz.
Seit dem Erfolg bei der EU-Wahl spüren die Grünen Aufwind, und politische „Oldies“ scheinen wieder voll da zu sein: Werner Kogler agiert als Parteispitze, Sigrid Maurer zeigt wieder auf, und Michel Reimon plant ein Comeback im Nationalrat…
Michel Reimon: Also, wenn man genau hinschaut, wer wo auf welchen Listen und Landeslisten kandidiert, dann dürften jene, die schon mal Abgeordnete waren, höchstens 30 Prozent ausmachen. Und ich denke, man wird die Erfahrung dieser Leute auch brauchen. Und ein paar bekannte Namen sind ja nicht unwichtig.
Stichwort Bekanntheit: Sie sind – Achtung Satire! – täglich 27 Stunden online…
Michel Reimon: Ja, so ungefähr…
… mit mehr als 70.000 Followern bringt man ja ein gewisses WählerInnenpotenzial mit. Ist das nicht auch Startkapital und Kalkül für die nunmehr dritte Politkariere?
Michel Reimon: Ich habe mir von einer Firma ausrechnen lassen, welchen Werbe- oder Marktwert so etwas haben könnte: Es sind etwa 50.000 Euro im Monat. Man rechne das jetzt um auf einen Wahlkampf, der mehrere Monate dauert. Das ist also nicht wenig und natürlich ein Faktor, wenn man Opposition macht, Aufmerksamkeit auf wichtige Themen lenken und Widerstand erzeugen muss.
Würden Sie sich als virtuellen Aktivisten bezeichnen?
Michel Reimon: Ich bin in der medialen Szene sehr gut vernetzt. Medienleute lesen ständig mit, was ich schreibe. Dadurch bin ich sehr unabhängig von statischen Presseaussendungen. Ich versuche ständig, auch neue Kommunikationskanäle auszuprobieren und präsent zu sein. Gerade im Nationalrat wird es notwendig sein, direkt aus der täglichen Arbeit heraus besser informieren und damit auch bessere Politik machen zu können. Es gilt, nicht von kurzen Sendezeiten im Fernsehen und Erscheinungsterminen von Printmedien abhängig zu sein. Wie das Beispiel des Ibiza-Videos gezeigt hat, bist du nur wenige Stunden nach Auffliegen der Sache als Partei voll im politischen Diskurs dabei.
Die Grünen sind ja aus dem Parlament rausgeflogen und hoffen nun als außerparlamentarische Opposition wieder auf den Einzug. Rechnet man eher mit der Rolle als Opposition oder gar mit einer möglichen Regierungsbeteiligung?
Michel Reimon: Das Wahrscheinlichste ist wohl die Opposition. Wie es derzeit ausschaut, gibt es – und das sagt ja übrigens auch SPÖ-Landeshauptmann Doskozil – zwei wahrscheinliche Regierungsvarianten: Türkis-Blau oder Türkis-Rot.
Ihr Kommentar zu diesen Regierungskonstellationen?
Michel Reimon: FPÖ und damit Rechtsextreme in der Regierung: Das geht nicht!
Gibt der Höhenflug der Grünen in Deutschland den Grünen in Österreich Rückenwind?
Michel Reimon: Nein. Jeder Vergleich mit Deutschland ist hier Humbug. Denn dort gibt es ja schon viermal hintereinander eine große Koalition. Das ist eine ganz andere politische Dynamik. Wäre das bei uns so gewesen, stünden die Grünen jetzt auch bei 12 Prozent. Was in Österreich aber sehr wohl möglich ist, dass innerhalb weniger Wochen Wählerbewegungen von bis zu 10 Prozent denkbar sind. Die Stammwähler von früher gibt es nicht mehr. Das ist demokratiepolitisch gut. Für die Parteien wird die Sache aber durch die mobil gewordenen Wählerinnen und Wähler schwerer vorhersehbar.
Ihre Prognose für das Abschneiden der Grünen am 29. September?
Michel Reimon: Von 3,8 Prozent kann es ja nur mehr aufwärts gehen. Jede Prognose halte ich übrigens für Kaffeesudlesen. Ich warne auch die eigenen Leute davor, von tollen Ergebnissen zu träumen. Ich bin da eher vorsichtig.
Zu den Wahlkampfthemen der Grünen: Wenn man Werner Kogler zuhört, ist die Rede von Klima, Klima und nochmals Klima…
Michel Reimon: Prinzipiell musst du als Partei alles mitdiskutieren, was gerade öffentliches Thema ist. Dass das Klima endlich zum Thema wird, haben wir uns ja schon vor Jahren gewünscht. Mit unseren Kampagnen sind wir medial nicht wahrgenommen worden, obwohl wir dasselbe gesagt haben wie nun Greta Thunberg. Durch die große internationale Aufmerksamkeit ist das auf einmal auch in Österreich ein wichtiges Thema.
Welchen Aufgaben wollen Sie sich als Ex-Landtagsabgeordneter und ehemaliger EU-Parlamentarier im Nationalrat widmen?
Michel Reimon: Aus beiden Funktionen bringe ich Erfahrungen mit: Zum Beispiel, dass man sich in die Logik politischer Kontrahenten einfühlen muss. Auf europäischer Ebene denken und handeln nicht immer alle Länder im Sinne eines großen gemeinsamen Anliegens. Da gibt es starke lokale Interessen. Da kann es auch sein, dass die Zustimmung Österreichs in einer Frage davon abhängt, ob dies einige Landeshauptleute blockieren. Das durchschaut man als politisch gelernter Österreicher. Und man sollte andererseits auch wissen, wie etwa in Litauen Mehrheiten entstehen. Und ich habe vor, mich um die Auswirkungen internationaler Handelsabkommen auf Österreich zu kümmern.
Werden Sie weiterhin auf digitalen Plattformen aktive Politik betreiben?
Michel Reimon: Ich halte es für extrem wichtig, dass wir Grüne und ökologisch Bewegte eigene Plattformen und Kanäle aufbauen. Die klassischen Medien sind ja mitten im Umbruch. Und was die türkis-blaue Regierung unter Sebastian Kurz mit dem ORF vorhatte, ist ja nun glücklicherweise gescheitert. Da bleibt natürlich die Frage, was die nächste Regierung plant. Es muss unbedingt die Unabhängigkeit von Redaktionen sichergestellt werden. Und als Politiker sollte man nicht von Medien abhängig sein. Ich habe großen Respekt vor Journalisten, die harte Fragen stellen. Ich glaube fest daran, dass die Grünen in einem fairen Wettbewerb mit kritischen Medien gut aussteigen werden.
Nach wie vor ist er tätig als Moderator von Podiumsdiskussionen, Tagungen und Veranstaltungen zu politischen, gesellschaftspolitischen und sozialen Themen.
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Walter Reiss im Gespräch mit Michel Reimon