Interview

„Ich musste mich entscheiden zwischen Pest und Cholera“

Was sich derzeit am Bausektor abspielt, übersteigt alles bisher Dagewesene, sagt OSG Geschäftsführer Alfred Kollar. Im April werden es 35 Jahre, seit er die Firmengeschichte der OSG mitgestaltet. Heute leben rund 40.000 Menschen in einer Immobilie des größten burgenländischen Wohnbauträgers. Wie wirkt sich die derzeitige Kostenexplosion auf die Vorschreibungen der OSG an die Mieter aus? Womit müssen jene rechnen, die bereits seit Jahren eine Immobilie bewohnen und demnächst ins Eigentum übernehmen wollen? Fragen über Fragen, die auch den OSG-Chef beschäftigen. Und wann die blanke Wut in ihm hochsteigt. 

(c) Nicole Mühl

KR Dr. Alfred Kollar ist seit 35 Jahren Steuermann der Oberwarter Siedlungsgenossenschaft (OSG). Die dramatische Entwicklung am Bausektor ist seiner Meinung nach von der Baustoffindustrie verursacht worden.

 

Herr Kollar, was passiert da gerade am Bausektor? Die Preise gehen ins Uferlose.

Dr. Alfred Kollar: In 35 Jahren OSG habe ich eine solche Situation noch nicht einmal ansatzweise erlebt. Es ist eine Ansammlung von steigenden Grundstückskosten, von explodierenden Baukosten, von nicht nachvollziehbaren Energiekosten und von durch die Decke fahrenden Zinsen. Das hat es noch nie gegeben. Wir reden von einer Baukostenerhöhung von 30 Prozent innerhalb von zwei Jahren. Das ist eine Katastrophe. 

Aber wie ist das erklärbar?

Für mich ist das Problem hausgemacht. Mir kann keiner einreden, dass durch Corona und jetzt durch den Krieg in der Ukraine solche Mehrkosten in der Herstellung der Baumaterialien entstanden sind, die rechtfertigen, dass man die Firmen regelmäßig mit Preiserhöhungen konfrontiert. Wenn Rohstofflieferanten den Baufirmen die Schuld an der Erhöhung geben, weil diese angeblich ihre Baustellen nicht rechtzeitig organisieren und dann einen Lieferstopp verhängen, um im neuen Jahr mit um 15 Prozent höheren Kosten auszuliefern – da muss ich ehrlich sagen, steigt die blanke Wut in mir hoch.

Tatsache ist, dass diese Preiserhöhungen für mich nicht erklärbar sind. Eine einfache Wohnhausanlage, die wir vor drei Jahren – vor Corona – noch mit 1.700 Euro pro m2 kalkuliert haben, ist jetzt auf 3.000 Euro gestiegen. Aber das ist noch nicht alles. Die EZB hat vier Mal die Zinsen angehoben. Das heißt: Die Baukosten sind explodiert, die Zinsen sind vervierfacht – wie sollst du da entsprechend kalkulieren? Dazu kommen die Energiekosten mit monatlichen Stromkosten von 400, 450 Euro. Und dann kommt noch dazu, dass die Grundstückspreise gewaltig gestiegen sind. Es ist ein Preis- und Kostentsunami, der über die Immobilienwirtschaft hereingebrochen ist und der es für die gesamte Branche unheimlich schwer macht. 

Aber dennoch wird gebaut

Das ist ein Irrglaube. Denn die beschriebene Situation betrifft ja auch die Einfamilienhäuser. Wir bekommen aus Gesprächen mit Baufirmen mit, dass es kaum mehr Private gibt, die bauen, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Es gibt fast keine Planungsaufträge mehr, denn für ein Einfamilienhaus muss man mit Kosten ab 600.000 Euro rechnen und das ist für viele nicht leistbar. Hier versuchen wir anzusetzen. Als gemeinnütziger Wohnbauträger haben wir mit dem Reihenhaus ein Angebot, das als Doppelhaus von der Wohnqualität her an das Einfamilienhaus angenähert ist und an die 350.000 Euro kostet. 

Wie kann die OSG den Preis halten?

Wir schaffen das als gemeinnütziger Wohnbauträger, indem wir beim Miet-Kauf-Modell den Vorsteuerabzug geltend machen können. Bei 350.000 Euro Baukosten sind das 70.000 Euro. Außerdem ist das Doppelhaus in der Gesamtkonzeption günstiger. Die Außenanlage ist nicht auf 1.000 m2 ausgerichtet, sondern auf 350 m2. Und wir sind Großauftraggeber. Wir machen Ausschreibungen nicht nur für ein Haus, sondern gleich für sechs bis zehn Projekte. Das erleichtert die Baustelleneinrichtungen für die Firmen und das macht sich dann natürlich auch beim Preis bemerkbar. 

Sollten hier die Banken nicht vermehrt einspringen, damit das Hausbauen für junge Menschen möglich wird?

Im Sommer des Vorjahres ist ja die Verschärfung der Darlehensaufnahme in Kraft getreten. Es gibt bestimmte Obergrenzen, man muss einen gewissen Eigenkapitalanteil haben und darf maximal 40 Prozent des Einkommens für die Annuitäten verwenden. Das hat dazu geführt, dass viele ausscheiden. 

Ist es sinnvoll, dass jungen Menschen der Zugang zu einem Darlehen so erschwert wird? Es wird ja dadurch auch weniger gebaut.

Das Ganze ist durch Erfahrungen aus  Lebenssachverhalten entstanden und diese Erfahrung war eben jene, dass sich junge Menschen beim Hausbauen verschuldet haben. Wenn es dann auch noch zu einer Scheidung kommt, steht der Privatkonkurs  bevor. Natürlich ist es ein Schutzmechanismus der Banken. Aber es erschwert  jungen Leuten, sich etwas aufzubauen. Ich bin weit davon entfernt zu sagen, dass es ein Fehler ist. Aber über die Richtlinien und Grenzen bei der Aufnahme eines Darlehens sollte man reden. 

Aber wie kommen junge Menschen sonst zu einem Eigenheim?

Auch hier haben wir uns als gemeinnütziger Wohnbauträger Gedanken gemacht. Wenn sich jemand bei uns ein Reihenhaus nimmt, ist er „Mieter mit Kaufoption“. Angenommen, die Ehe geht in Brüche, dann kann man das Reihenhaus zurückgeben. Man bekommt den Finanzierungsbeitrag mit einem Prozent  Abschreibung zurück und ist schuldenfrei. Wenn man einen Nachfolger findet, der das Reihenhaus übernimmt, bekommt man auch Sonderinvestitionen rückerstattet.

Wir bieten mit den Bungalows und Doppelhäusern eine Alternative zum Einfamilienhaus und das wird gerne angenommen. Wir haben aktuell knapp 350 Häuser in Bau und bereiten viele Projekte vor. Interessanterweise besonders im Südburgenland. 

Es gibt ja Menschen, die haben dieses Miet-Kaufmodell in Anspruch genommen. Was kommt jetzt auf sie zu? 

Bei unserem Reihenhaus-Modell ist der Erwerber von Anfang an Quasi-Eigentümer. Er hat bereits einen hohen Finanzierungsbeitrag von durchschnittlich 70.000 – 90.000 Euro geleistet und das wird natürlich in der Kalkulation berücksichtigt. Am Ende des Tages zahlt er zwei Prozent der Herstellungskosten als Bar-Kaufpreis. 

Wie sieht es bei Wohnungen aus?

Bei Wohnungen ist das Modell anders. Wir bauen Mietwohnungen schon auch mit der Kaufoption, aber wir sehen es durchaus gerne, wenn die Wohnungen als Mietwohnungen bleiben, damit wir sie als solche weitergeben können. Darauf baut der soziale Wohnbau auf! In dem Moment, wo die Wohnung im Eigentum ist, ist die Wohnungsvergabe für uns nicht mehr beeinflussbar. Daher gilt bei Wohnungen ein anderes Modell als beim Reihenhaus, wo wir von Beginn an von einem Kaufmodell reden. 

Gehen wir nun aber davon aus, es will jemand seine Wohnung kaufen und hat schon Jahre darauf hingespart. Womit muss er bzw. sie durch die generelle Preiserhöhung rechnen?

Die Berechnung für die Kosten der Wohnung wird mit Stichtag der Eigentumsübertragung gemacht. Es wird eine Wertermittlung von einem Sachverständigen durchgeführt. Die Wohnung ist zum Beispiel im Jahr 2014 gebaut worden mit Baukosten von sagen wir 1.800 Euro pro m2. Diese Kosten sind auf 2.800 Euro pro m2 gestiegen. Diese Wertsteigerung wird berücksichtigt, weil sie im Falle des Verkaufes ja auch berücksichtigt werden würde. Andererseits ist die Wohnung acht Jahre alt. Das ergibt eine gewisse Abwertung. Der Faktor ist üblicherweise 1,5 bis 1,75 Prozent pro Jahr. Es geht also um den Wert der Wohnung, die Berücksichtigung, was bereits zurück- und angezahlt wurde und um das Alter der Wohnung. Daraus ergibt sich der Kaufpreis.

Dennoch: Die Leute haben bislang auf einen bestimmten Preis hingespart und sind nun verunsichert, weil sie nicht wissen, um wie viel der Wert ihrer Wohnung angestiegen ist. 

Diese Frage ist berechtigt. Das ist tatsächlich etwas, das mich intern beschäftigt. Die Berechnungen werden im Herbst wieder durchgeführt und ich will diese massiven Preissteigerungen nicht weitergeben. Das ist tatsächlich ein großes Thema für uns. Wenn ein Haus beispielsweise 2014 fertig gestellt wurde und sich die Baukosten auf zig Prozent erhöht haben, kann man das durch die Abschreibung nie ausgleichen. Und da wird sich natürlich bei den Berechnungen im Herbst die Frage stellen, wie wir das weitergeben. Das beschäftigt uns und wir suchen nach Lösungen.

Ein Blick in die Glaskugel: Wird sich die Lage stabilisieren? 

Ich informiere mich wirklich viel und höre in die Menschen hinein. Ein Installateur hat mir erzählt, dass er um diese Zeit Aufträge für 15 Einfamilienhäuser für das Jahr hat. Derzeit hat er zwei. Das beginnt bei den Planern und geht über die Baumeisterbetriebe. Es gibt Baufirmen, die sagen, dass sie die Leute nicht entlassen wollen. Daher wird nun auch das selbst gemacht, was früher außer Haus gegeben wurde, denn sollte die Konjunktur wieder anziehen, brauchen die Baufirmen wieder Leute. Die Verunsicherung ist spürbar.

Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, damit die Lage besser wird? Wo müsste man ansetzen?

Die Gefahr besteht, dass Aufträge zurückgehalten werden, weil man bei diesen Preisen nicht bauen kann. Die Firmen bekommen also weniger Aufträge und müssen Leute entlassen. Das heißt aber auch, dass weniger Baumaterial nachgefragt wird. Wenn das passiert, dann wird hoffentlich die Baustoffindustrie mit den permanenten Preiserhöhungen im Zwei-Monatsrhythmus aufhören und es wird dann hoffentlich wieder Preisgarantien geben. Das Problem für die Firmen war, dass viele vor Corona Kalkulationen mit einem Aufschlag von einem bis drei Prozent gemacht haben. Dann sind die Materialpreise aber plötzlich um 15 Prozent gestiegen. Ich bin mit Firmenchefs zusammengesessen, die mir zeigten, dass sie durch den Preisanstieg bei Baustellen 100.000 Euro und mehr an Verlusten erlitten haben. Mir tut es weh, weil diese Firmen langjährige Partner der OSG sind. Ich verstehe die Verzweiflung. Aber ich war und bin den zukünftigen Mietern und Eigentümern verpflichtet. Ich kann nicht zu meinen Kunden sagen, dass sie mehr zahlen müssen. Ich musste mich entscheiden zwischen Pest und Cholera. Ich musste mir aussuchen, ob mich die Firmen schimpfen oder die Reihenhaus- und Wohnungskunden. 

Ein sehr heißes Thema sind  momentan die Vorschreibungen, die die OSG gerade ausschickt. Die haben sich zum Teil empfindlich erhöht.

Ich verstehe jeden, der um 70, 80 Euro mehr zahlen muss. Wir versuchen vieles aufzufangen durch Stundungen und in Notfällen zahlen wir Rückstände aus dem Sozialtopf. Wir helfen allen, die Zahlungsschwierigkeiten haben, indem wir beispielsweise für ein halbes Jahr alle Delogierungen gestoppt haben. Wir helfen durch Stundungen und Ratenvereinbarungen. 

Ja, wir sind in der neuen Vorschreibungsphase und die Reaktionen sind völlig unterschiedlich: Von „ich habe mit viel mehr gerechnet“ bis hin zu „ich habe die Kalaschnikow für euch schon gerichtet“ ist alles dabei. 

Eine Botschaft ist mir besonders wichtig: In vielen Fällen habe ich festgestellt, dass die Miete seit 2012 gleich geblieben ist. Wir kalkulieren als gemeinnütziger Wohnbauträger nämlich gemäß den Zinsen. Daher ist die Miete sehr oft zehn Jahre unverändert geblieben. In dieser Zeit hat sich der VPI (Verbraucherpreisindex) aber um circa 30 Prozent erhöht. Eine Wohnung, die dem MRG (Mietrechtsgesetz) unterliegt, hat 2022 einen Mietzins, der um 30 Prozent höher ist als jener von 2012. Das ist bei uns nicht der Fall, denn unsere Wohnungen sind nicht inflationsangepasst. Es ist bei uns zehn Jahre zu keiner Erhöhung der Mieten gekommen, weil wir uns nicht nach der Inflation richten, sondern weil die Mieten angepasst an die Zinsen sind und diese sind eben seit zehn Jahren unter  einem Prozent gewesen. Jetzt sind die Zinsen gestiegen und wir müssen diese Anhebung weitergeben. Das heißt, für die OSG-Immobilien gilt: Höhere Zinsen bedeuten einen Mietanstieg. Zinsenrückgang bedeutet Mietreduktion. Gleichbleibende Zinsen bedeuten gleichbleibende Miete.

Wenn die Zinsen runtergehen, was wir erwarten, werden auch die Vorschreibungen runtergehen. 

Das Land Burgenland steigt ja nun aktiv in den sozialen Wohnbau ein. Der Kaufpreis richtet sich beim Landesmodell nach dem Errichtungswert und nicht  – wie es bei den Genossenschaften der Fall ist – nach dem Verkehrswert. Wäre so ein Modell für die Genossenschaften nicht auch denkbar?

Nein, das dürften wir gar nicht. Wie jedes Wirtschaftsunternehmen muss auch der Gemeinnützige im gesetzlichen Rahmen Gewinne machen. Jedoch dürfen Gewinne nicht ausgeschüttet werden, sondern müssen im Unternehmen bleiben, um mit diesem Geld Grundstücke kaufen zu können, Projekte vor-, zwischen- und endzufinanzieren. Wir haben vom Gesetz her den Auftrag, dass wir im Sinne eines Generationenvertrages agieren. Das heißt durchaus mit Gewinnen, aber mit Gewinnbeschränkungen und mit Gewinnausschüttungsverbot. Daher stellt sich für uns diese Frage gar nicht. 

Die Mieten der OSG-Immobilien sind ja zinsgebunden. Warum ist man hier nicht von vornherein auf einen Fixzins gegangen? 

Weil ich nicht zu jenen gehöre, die in der Früh das Wissen des Abends haben. Die Zinsentwicklung war seit 2010 mit einer derartigen Stabilität, dass uns zehn Banken unisono gesagt haben, dass das Zinsniveau wahrscheinlich zehn Jahre auf diesem Niveau bleibt und alle haben uns zu variablen Zinssätzen geraten. Niemand konnte zu dem Zeitpunkt wissen, dass  es einen Verrückten im Osten gibt, der die Weltordnung auf den Kopf stellt.  

Ich muss aber schon sagen, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Mieterhöhungen auf das Land zurückgeht. Das Land hat eine Kondition im Landesdarlehen, die besagt, dass vom zehnten auf das elfte Jahr die Rückzahlung von einem Prozent auf dreieinhalb springt. Die Monatsmiete steigt durch die Anhebung des Landesdarlehens enorm. Also da den Genossenschaften wegen der Zinsen einen Vorwurf zu machen, empfinde ich als kühn. Ich habe im Herbst vor diesem Annuitätensprung gewarnt und habe zu einer Laufzeitverlängerung und einer Erhöhung auf nur zwei Prozent geraten. Darauf wurde nicht gehört.

Warum wurde nicht zumindest im Vorjahr eine Fixzinsvereinbarung gemacht, wo schon klar war, dass es zu einem Anstieg der Zinsen kommt?

Diese Fixzinsvereinbarungen hätte zu relativ hohen Zinsen geführt. Aber wie gesagt hat die zinsabhängige Mietvorschreibung den Vorteil: Wenn die Zinsen sinken, sinkt auch die Vorschreibung und davon gehe ich aus.  

Wie lautet Ihre Prognose für die nächsten Monate?

Ich bin jemand, der immer das Positive sieht und somit versuche ich auch die Zukunft positiv zu sehen. Ich denke, mit dem zweiten Halbjahr werden die Baustofflieferanten die Dramatik erkannt haben. Die Firmen werden dann wieder realistisch kalkulieren können, ohne die Angst im Nacken vor permanenten Preiserhöhungen. Also zusammengefasst lautet meine Prognose: Kostenmäßige Stabilisierung im zweiten Halbjahr und aufgrund der Konjunkturentwicklung werden sich die Zinsen ab Mitte nächsten Jahres wieder nach unten bewegen.

 


Lesen Sie dazu auch das Update vom 8. Feber 2023 über den Mietpreisdeckel: Ab 1. April werden die Mieten im Genossenschaftsbereich auf dem Niveau von Dezember 2022 für zwei Jahre eingefroren und Annuitätensprünge bei der Wohnbauförderung für diesen Zeitraum ausgesetzt:

>> Paukenschlag bei Wohn- und Energiekosten im Burgenland


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