Interview

Stadtentwicklung. Welche Chancen haben Innenstädte?

Während auf der einen Seite die Ortszentren – teilweise um viel Geld – belebt werden sollen, wird auf der anderen Seite an den Stadträndern weitergebaut und angesiedelt. „Ein Irrsinn“, meint Stadt- und Regionalentwickler Georg Gumpinger. Wovor er warnt, ist die Ansiedelung der Gesundheitsbereiche in der Peripherie. Denn was ist das Nächste? Die Behörden? Neue Konzepte sind gefragt, um die Innenstädte wieder zu beleben. Doch zuerst müsse das Bauen am Ortsrand reguliert werden.

Foto©LEXI

Wieder mehr Leben in den Innenstädten. Das benötigt Angebote – wie etwa den beliebten Bauernmarkt am Marktplatz in Oberwart. 

Vor wenigen Wochen hat Unternehmensberater und Prozessbegleiter Georg Gumpinger erneut die Kaufkraft im Burgenland analysiert. Oberwart liegt im Vergleich zu anderen Bezirkshauptstädten zwar immer noch vorne, aber Grund zum Jubeln gibt es für die Innenstadt nicht. Die Verkaufsfläche hat sich auf neun Prozent reduziert. Die Verlagerung des Handels an die Peripherie und der Internetkauf setzen österreichweit den Innenstädten zu. Mittlerweile sind es nicht nur die Fachmärkte, die in den Gewerbegebieten angesiedelt sind. Immer mehr Handelsgeschäfte wurden in den letzten Jahren in den Zentren geschlossen und an die Peripherie verlagert. Wie geht es weiter? Was ist das Nächste? Ärztezentren in den Gewerbegebieten am Ortsrand? Wichtige Infrastruktureinrichtungen? Wenn das passiert, hat man die Innenstädte völlig ausgehöhlt, warnt Georg Gumpinger.

 

Die Verkaufsflächen in den Innenstädten werden weniger. Die bestehenden werden anders genutzt, zum Teil nicht mehr für den Handel. Das ist wohl ein österreichweites Problem der Innenstädte. 

Georg Gumpinger: Ja, es ist eine Entwicklung, die sich in ganz Österreich abzeichnet. Der innerstädtische Bereich verliert an Struktur und Substanz und vieles ist leider hausgemacht, weil man einfach zu viel außerhalb der Kernbereiche ermöglicht hat. Vor allem in Branchen, die für die Innenstadt wichtig wären – wie beim Konsum. Also bei der Bekleidung, Schuhe, Papier und Bücher, Schreibwaren etc. Diese Branchen erzeugen eine Aufenthaltsattraktivität eines Einzelhandelsstandortes. Die fehlen in den Städten.

 

Was würden Sie einer Gemeinde empfehlen?

Eine gewisse Sensibilität wäre von Seiten der Politik wichtig. Wenn eine Gemeinde zulässt, dass Betriebe von der Innenstadt an die Peripherie gesiedelt werden, dann erzeugen sie in der Innenstadt eine schmerzliche Lücke. Und vor allem wird es schwierig, dort wieder etwas Neues reinzubringen. Da ist die Politik sicher gefordert.

 

Aber wie? Wenn der Bürgermeister kein Einkaufszentrum zulässt, wird es in der Nachbargemeinde angesiedelt. Da geht es auch um Kommunalsteuer und Arbeitsplätze.

Die Menge macht es. Ich rate jeder Gemeinde, eine langfristige Planung in der Raumordnung zu machen. Es geht darum, genau zu definieren, wie viel Fläche will man dem Handel außerhalb der Kernbereiche widmen. Da geht es um eine geordnete Raumordnungspolitik, die man längerfristig betrachtet. Vorarlberg ist da recht stark. Feldkirch hat etwa 35.000 Einwohner. Sie verfolgen klar die Strategie, dass sie diese Verlagerungstendenzen in den peripheren Bereich nicht mehr wollen. Für bestimmte Sortimente gibt es keine Ansiedlung außerhalb des Kernbereiches. 

Was den Ansiedelungs-Wettbewerb zwischen Gemeinden betrifft, kann dieser etwa durch Interkommunale Abstimmung (beispielsweise bei den Betriebsgebieten) zumindest in puncto Standortentwicklung verringert werden. Die Wirtschaftsregion Hartberg hat diese gemeindeübergreifende Ansiedelung schon seit Längerem. Im Burgenland wird das ja nun auch durch das Regionale Entwicklungsprogramm angestrebt. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Trotzdem ist bei der Abwanderung der Handelsbetriebe von der Innenstadt an die Peripherie immer die Standortgemeinde zuerst gefordert, das zu regeln. 

Ich würde mir wünschen, dass im Regionalen Entwicklungsprogramm auch der (stationäre) Einzelhandel bzw. die Handelsentwicklung berücksichtigt wird. Vor allem um festzulegen, wo verstärkt in Zukunft auch Handel Raum finden soll. Dies kann den Gemeinden in ihren örtlichen Entwicklungskonzepten helfen.

 

Also grob zusammengefasst wäre es sinnvoll: Nahversorgung und mittelfristige Güter wie Bekleidung, Papier- und Spielwaren, etc. im Kernbereich, sprich in den Ortszentren. Baumärkte, Fachmarktzentren, Möbelgeschäfte an der Peripherie. Das passiert aber nicht.

Es wird vielleicht besser. Es gibt mit der Novelle im Burgenland ja nun eine Regelung. Es ist ein Ansatz, wo man dem Thema zumindest eine gewisse Richtlinie gibt und festhält, dass außerhalb des Kernbereiches kein Nahversorger mehr errichtet oder großflächig ausgebaut werden darf. Das Burgenland hatte immer eine offene Raumordnungspolitik, über die sich Großanbieter gefreut haben. Wenn man alles darf, macht man auch alles. Oft haben die Bürgermeister nur im Visier, dass die Gemeinde groß werden soll und dass man Arbeitsplätze schaffen will. Dazu gibt es eine wichtige Kennzahl: Wenn ich auf einer Großfläche eines Einkaufszentrums einen Mitarbeiter habe, verliere ich auf derselben Fläche bei den kleineren Fachgeschäften mindesten drei. 

 

Was passiert, wenn nun auch Ärztezentren in der Peripherie angesiedelt werden. 

Aus Sicht der Stadtentwicklung sage ich dazu ganz klar: Nein! Eine Gemeinde, die die Entwicklung des Stadt- oder Ortszentrums im Auge hat, sollte die Verlagerung von Apotheken oder Ärzten auf keinen Fall zulassen. Ärztezentren sind wichtige Frequenzbringer, die dann in den Kernbereichen fehlen. Vielmehr könnte man leer stehende Flächen im Ort für Ärzte und Gesundheitsdienstleister adaptieren. Das wäre ein massiver Vorteil für die Innenstadt. 

 

Gehen wir kurz auf Oberwart ein. Wo sehen Sie die Stärke der Innenstadt?

Oberwart ist ein sehr leistungsfähiger Wirtschaftsstandort. Ohne Zweifel. Und es gibt eine Positionierung als Gesundheits- und Schulstadt. Es sind schon einige Entscheidungen in eine positive Richtung gefallen. Ich denke da an den Stadtgarten. Diesem Bereich Leben einzuhauchen, finde ich charmant und es war auch eine gute Möglichkeit, Grünes in die Stadt hineinzubringen. 

Besonders wichtig ist der Marktplatz, der mit verschiedenen Marktthemen bespielt werden kann. Da passiert schon einiges. Aber da gibt es noch mehr Möglichkeiten, wo man eine andere Art von Erlebnis hineinbringen kann. Die Leerflächen in der Stadt könnte man für andere Dienstleistungsbereiche nutzen. Für Ärzte zum Beispiel. Ich denke da auch an ergänzende Gesundheitsbereiche wie Physiotherapie etc. Jede Leerfläche schmerzt und ist Kapitalvernichtung.

 

Aber der Gesundheitsbereich wird wohl nicht reichen, um den Handel zu ersetzen. Was würde denn sonst noch funktionieren?

Ich würde Leerflächen öffnen für junge Unternehmer, für junge Ideen. Das könnte über ein Stadtmarketing oder die Wirtschaftskammer passieren. Man müsste diese Flächen zu ganz geringen Mieten, wenn nicht sogar in den ersten Jahren gratis, anbieten. Das könnte man temporär nutzbar machen. Man könnte aus der Region Ideen sammeln und diesen hier eine Heimat geben. Nach dem Motto: „Ich biete Ideen Raum.“ Man kann auch etwas im Co-Working-Bereich machen. Etwa Ansätze für Dienstleister, die nicht die Infrastruktur haben und diese hier nutzen können – wie einen 3D-Drucker etc. Also Infrastrukturen, die einem erlauben, Ideen umzusetzen und etwas zu versuchen. Das geht in Richtung Wirtschaftsaktivierung. Es gibt auch spannende Ideen mit Pop-up Systemen, also mit temporären Modellen. Wir haben Beispiele, wo etwa zur Weihnachtszeit eine Weihnachtsbäckerei in einem Lokal drei bis vier Monate drinnen ist und dann wieder rausgeht. Aber die Leute sehen, dass sich etwas entwickelt.

Was man auf der anderen Seite jetzt besonders merkt, ist der Second-Hand-Bereich. Der Low-Budget-Bereich. Für solche Konzepte muss man auch offen sein. Da kann man auch Flächen entsprechend bespielen.

 

Aber wer bezahlt das? 

Es braucht sicher einmal einen offenen Diskurs: Zwischen Gemeinde, Unternehmern und Immobilieneigentümern. Oft schließen sich auch Unternehmer zusammen und treten an die Eigentümer heran wegen der Miete. Das erfordert schon auch Eigeninitiative. Und bei manchen Flächen muss auch die Stadt in Vorleistung gehen. Es wird aber nicht gehen, dass ein Immobilieneigentümer bei solchen Objekten die maximale Miete verlangt. Wer meint, dass er hier Rendite macht, der ist fehl am Platz. Man muss die Menschen finden, die ein offenes Ohr haben und die sagen: Mir ist es wichtig, dass diese Fläche bespielt wird. Und wenn das Unternehmen wächst, wachse ich mit. Dann bekomme ich Umsatzanteile. Der Prozess braucht eine Langfristigkeit.


Mit Co-Working-Modellen, branchenübergreifenden Angeboten, Pop-up-Systemen oderAngeboten im Low-Budget-Bereich könnte man Leerflächen bespielen.


 

Wie wichtig ist die Gastronomie für die Innenstadt?

Absolut notwendig und hier eine Variabilität zu finden, ist sicher wichtig. Die Gastro hat schwere Jahre hinter sich. Und viele jammern wegen Mitarbeitern. Auf der anderen Seite gibt es eine extrem hohe Dynamik auf diesem Sektor. Das heißt, es fangen sehr viele an und es hören auch sehr viele wieder auf. Aber auch hier gibt es immer wieder durchaus spannende Geschichten. Es gibt die Möglichkeit, dass man regionale Produkte mit der Gastro verbindet. Wir haben ein paar coole Beispiele von Crossover-Konzepten, wo wir Gastro und Lebensmittel mit anderen Branchen zusammenbringen. Wir haben in einer Gemeinde zum Beispiel einen Möbelhändler, der dort auch Whiskyverkostungen macht und daneben kleine Kanapees serviert. Das rennt gut. Manchmal sind auch Veranstaltungen dort. Das sind kleinteilige, schöne, neue Konzepte, die mit den Menschen leben, die das machen und die sehr überraschend sind. Mit alten Konzepten kann man jetzt nicht mehr viel anfangen.

 

Oberwart plant, den Hauptplatz umzugestalten. Es kommen Bäume, Chill-Out-Bereiche, der Busbahnhof wird verlegt. Was sagen Sie dazu?

Wenn mehr Grün in die Stadt kommt, dann ist das immer positiv. Eine gewisse Veränderung ist eine Chance, vor allem, wenn sie die Aufenthaltsattraktivität steigert. Nette Plätze für die Menschen mit Trinkbrunnen, Beschattungen, Sprayduschen etc. das ist unbedingt zu unterstützen. Wenn man den Menschen eine Attraktivität bietet, halten sie sich dort lieber auf.

Außerdem würde da auch die Gastro wieder belebt werden. Man geht gerne raus. An vielen Standorten ist das sehr erfolgreich.

 

Gehen wir noch kurz auf die Hartberger Innenstadt ein.

Hartberg hat eine schöne Altstadt. Dennoch merkt man auch hier die Problematik der Innenstadt. Hartberg hat ja auch außerhalb der Kernbereiche am Stadtrand üppige Verkaufsflächen zugelassen – Stichwort Hatric. Das tut der Innenstadt natürlich genauso weh, denn auch hier sind Verlagerungstendenzen passiert. Da ist es schwierig, diese Flächen wie das ehemalige Roth-Geschäft neu zu beleben. Hartberg hat aufgrund der städtebaulichen Qualität durchaus Chancen, die Innenstadt in der Attraktivität zu bespielen – vielleicht mit anderen Nutzungsformen. Hartberg hat aber nicht die hohe Personenfrequenz in der Innenstadt durch Schulen, Behörden, Märkte etc. wie Oberwart. Der Vorteil liegt hier im Flair des Flanierens. Um dieses zu bewahren, ist es wichtig, nicht auf Filialisten zu setzen, die die Flächen füllen. Besser sind  handelsbegleitende Dienstleister. Eine Reinigung, wie sie etwa in Oberwart erfolgreich geführt wird. Natürlich wären auch hier branchenübergreifende Geschäfte eine Chance. Die Frage ist nur hier wie überall: Wie findet man die Menschen?

 

Was ist Ihrer Meinung nach jetzt der wichtigste Schritt in den Gemeinden?

Die Gemeinden, sprich die politischen Entscheidungsträger, müssen klar den Rahmen setzen und sagen: Ab jetzt gibt es keine großflächige Ansiedelung außerhalb der Kernbereiche mehr. Man muss sich vor Augen führen, dass viele Gemeinden inzwischen einen Haufen Geld in die Innenstadt bzw. Ortszentren hineinbuttern, um sie zu beleben. Wenn sie aber trotzdem weiterhin alles an der Peripherie ermöglichen, ist das extrem kontraproduktiv und wirtschaftlich gesehen ein kompletter Irrsinn.


Mag. Ing. Georg Gumpinger ist Handels- und Sozialwissenschafter und Inhaber der Consulting-Firma Gut & Co. Er ist erfahrener Prozessbegleiter von LEADER-Projekten, Orts-, Stadt- und Regionalentwicklungs-Projekten sowie Agenda 21-Initiativen. Überdies verfügt er über eine mehrjährige Beraterpraxis im Einzelhandel, Tourismus und im öffentlichen Marketing. Er hat über 150 Projekte in Gemeinden beratend begleitet – darunter viele Gründungsprojekte. Seit 2009 führt er im Burgenland regelmäßig Kaufkraftanalysen durch.

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