In Speckstein gemeißelt

Kerstin Freitag in action: Nur bei größeren Skulpturen benötigt man Hammer und Meißel. Speckstein ist so weich, dass man ihn mit dem Fingernagel einritzen kann
Wie das möglich ist? Die Rede ist von Speckstein. Dieser ist der weichste bekannte Stein und wird auch als Talcusstein bezeichnet. In zermahlener Form wird er vielfach als Gleitmittel eingesetzt. Man kennt ihn als weißes Pulver etwa in der Medizin (Tabletten, Handschuhe), in der Kosmetik (z.B. Puder), Industrie (z.B. bei Kabeln) oder auch als Talkum beim Turnen. Specksteinvorkommen finden sich über weite Teile der Erde, in unterschiedlichen Farben und Maserungen. Durch seine geringe Härte kann man ihn sogar mit dem Fingernagel ritzen. Doch für die professionelle Bearbeitung kommen vorwiegend Raspeln, Feilen und Schleifpapier in unterschiedlicher Körnung zum Einsatz. Hammer und Meißel werden nur für große Plastiken verwendet.
Vom Stein zum Kunstwerk
Die Firma „Kunstwerk“ in Hofkirchen bei Kaindorf hat sich ganz diesem weichen, handschmeichlerischem Stein verschrieben. Angeliefert werden fünf bis 30 Kilo Brocken, die erst mittels Hammer zerkleinert und dann mit einer normalen Bandsäge in passende Teilstücke geschnitten werden. Mittels selbst gemachten Schablonen werden Rohlinge der verschiedenen Formen angefertigt. Diese werden nun zum Teil in Do-it-yourself-Sets zusammen mit dem passenden Werkzeug verschickt. Zum Teil werden sie aber auch von Kerstin Freitag, dem kreativen Kopf hinter „Kunstwerk“, in Kursen und an Ständen auf Märkten, Kirtagen, privaten Veranstaltungen zusammen mit dem Publikum bearbeitet. So ein Kurs hat eine ganz besondere Wirkung: Erst wirkt der Stein hart, unnahbar, das fertige Werkstück zur Anschauung unerreichbar. „Wenn dann Teilnehmende denken, dass sie dieses Handwerk niemals erlernen, aber in kürzester Zeit kleine Kunstwerke erschaffen, sieht man ihnen die Freude darüber an. Das ist herzerwärmend“, beschreibt Kerstin Freitag ihre Erfahrungen. Das Schöne ist: Mit den entsprechenden Vorlagen kann man innerhalb einer halben Stunde etwas hervorzaubern. Egal wie alt man ist. Am Ende wird der Stein noch eingeölt, dazu gibt es bei „Kunstwerk“ eine eigens hergestellte Mischung aus Zitrus- und Harzöl, die nicht ranzig wird. Jetzt zeigt er seine endgültige Farbe und liegt weich und speckig in der Hand. Zuletzt können noch ganz feine Linien und Muster eingraviert werden.
Die Firma „Kunstwerk“ hinter dem Kunstwerk
„Kunstwerk“ ist mit diesem Angebot nahezu einzigartig im europäischen Raum. Alle bisher verfügbaren Sets kamen vorgefertigt aus Afrika. Hier hingegen kann man auch individuell auf Kundenwünsche eingehen. Kerstin Freitag selbst ist mit vollem Einsatz dabei. Als sie 2016 das erste Mal mit Speckstein in Berührung kam, war es um sie geschehen. Eine Woche später war der alte Job gekündigt und sie fing bei „Talcus“ an. Sie absolvierte neben dem neuen Job drei Mal wöchentlich die Grazer Ortweinschule für Kunst und Design, um dort die Bildhauerei zu erlernen. Obwohl eine Einführung in unterschiedliche Materialien zum Programm gehörte, war ihre Abschlussarbeit eine Specksteinskulptur, die neben beeindruckenden Details auch die Vielfältigkeit des Materials offenbart. Der Rest ist in Speckstein gemeißelte Geschichte: Nachdem 2019 das „Talcus“-Geschäft aus privaten Gründen geschlossen wurde, gründete Kerstin Freitag mit ihrem Lebensgefährten und einem befreundeten Paar im März 2020 die Firma „Kunstwerk“. Der Start mitten in der Coronakrise war schwer. Doch mit viel Idealismus und ebenso viel Eigenarbeit ist das Geschäft gut angelaufen, „Kunstwerk“ gut gebucht und auf Messen bis nach München unterwegs. „Wichtig ist für uns die gleich bleibend hohe Qualität. Unsere Steine sind garantiert fair abgebaut, zertifiziert asbestfrei und unsere Sets sind immer farblich gut durchgemischt.“ Und in Zukunft? „Vielleicht eine kleine Version unseres Dauersellers, des Dinos? Mal sehen“, sagt die Künstlerin und hat schon den nächsten Stein in der Hand, um zu sehen, welche Form wohl in ihm wohnt.
In Speckstein gemeißelt