Bericht

„Der Dealer sitzt im Kinderzimmer”

Anfang des Jahres schockte uns der tragische Drogen-Tod einer 16-jährigen Schülerin aus dem
Bezirk Oberwart. Dass schon sehr junge Menschen dem Suchtgift verfallen, ist keine Neuheit. Wohl aber die Leichtigkeit, mit der die Kids an den Stoff kommen. Denn es sind unter anderem beliebte Social-Media-Plattformen, auf denen mit den richtigen Kürzeln bzw. Hashtags alle gewünschten Substanzen beschafft werden können. Worin nun der richtige Ansatz zur Prävention liegt, darüber hat prima! mit Streetworker Rene Wagner aus Oberwart gesprochen. 

(c) Eva Maria Kamper

Im Darknet und über Social Media Plattformen ist der Zugang zu Drogen für Jugendliche leichter geworden. Eltern sollten sich dringend im Verdachtsfall an Beratungsstellen wenden.

 

„Für Drogen muss man nicht mehr in die Großstadt fahren, um den anonymen Dealer auf der Straße zu suchen. Mittlerweile hat sich auf den gängigen Social-Media-Plattformen wie zum Beispiel Instagram oder TikTok eine kreative Szene entwickelt, die unter gewissen ‚Hashtags‘ nicht nur drogenverherrlichende Videos zeigt, sondern auch den direkten Zugang zu den Dealern ermöglicht”, schildert Rene Wagner, der schon viel Erfahrung als Streetworker der Offenen Jugendarbeit in der Region hat. 

Anonym per Post

Denn über Kommentare und Privatnachrichten können sich die Kids ganz leicht vernetzen und die gewünschten Substanzen per Post bestellen, weiß er. Und wegen den Datenschutzrichtlinien der Social-Media-Plattformen sei es schwierig, den Ursprung hinter den Absender-Accounts festzustellen. Teuer sei die Beschaffung auch nicht: Eine ‚Benzo’-Tablette, also Benzodiazepin – ein starkes Beruhigungsmittel, das rasant abhängig macht – ist am Schwarzmarkt ab zwei Euro pro Tablette erhältlich. Und ob die kleine rosarote Pille aus dem Kuvert dann tatsächlich den gewünschten Wirkstoff enthält, das ist letztendlich auch das lebensgefährliche Roulette, auf das sich die Kids einlassen.

Depressiv, gelangweilt und experimentierfreudig

Doch wieso sind manche Jugendliche bereit, solch dubiosen Quellen zu vertrauen? Beziehungsweise warum müssen sie überhaupt zu Drogen greifen? „Natürlich nehmen nicht alle Jugendlichen Drogen, es betrifft nur einen kleinen Teil. Aber viele der Kinder sind in der Tat depressiv oder gelangweilt und einfach experimentierfreudig. Gerade am Land gibt es de facto zu wenig Freizeitmöglichkeiten für Jugendliche, die nicht gleich eine Lawine an Geld kosten oder einen komplizierten Anfahrtsweg haben. Die Corona-Zeit hat die Sache nochmal verschlechtert, da man nun ewig gewohnt war, Zuhause zu sitzen. Wenn dann noch Probleme in der Familie dazukommen, sind Freunde, die den Umgang mit Drogen pflegen, schnell eine Ersatzfamilie. Auch in der Schule häufen sich nach wie vor psychische Probleme“, antwortet Rene Wagner. Das SOS-Kinderdorf habe letzten Herbst eine Umfrage in Auftrag gegeben, dessen alarmierendes Ergebnis besagt, dass vier von zehn Kindern zwischen elf und 18 Jahren nicht gerne in die Schule gehen würden. Meistgenannter Grund, dass sie sich nicht ernstgenommen fühlen. 

Jugendliche ernst nehmen

Wie sieht dann Präventionsarbeit neben einer digitalen Scheinwelt aus, wohin sich immer mehr Jugendliche flüchten? Wo die sogenannten Influencer auf Social-Media mehr Einfluss als Vorbild haben als reale Erwachsene.

„Der Ansatz ist immer noch, dass man den Jugendlichen einfach mal zuhört und ihre Sorgen und Probleme ernst nimmt”, sagt der Streetworker, der gerne in den Stadtparks von Oberwart oder Pinkafeld präsent ist, um die Jugendlichen einzuladen, mit ihm zu reden. Oder als Gruppe die diversesten Aktivitäten und Ausflüge ermöglicht und zu einer positiven Lebensgestaltung motiviert. Seit zwei Jahren gibt es die Offene Jugendarbeit Oberwart und Pinkafeld, die finanzielle Mittel dafür zur Verfügung stellt und auch einen Jugendraum in Pinkafeld betreibt. Außerdem sind Rene Wagner und Oliver Zankl regelmäßig in Schulen und anderen Institutionen mit Vorträgen und Workshops zum Thema Drogenprävention vertreten.

Unterstützung suchen

Als wichtigste Maßnahme sieht er, dass man das Gespräch sucht und Vertrauen aufbaut, ohne Druck und Vorwürfe, auch in schwierigen Lebensphasen: „Wenn Eltern oder Erziehungsberechtige einen Drogenkonsum vermuten oder bemerken, ist es wichtig, dass sie sich auch selbst Unterstützung holen, notfalls anonym, beim Psychosozialen Dienst, ‚Rat auf Draht‘, oder anderen Beratungsstellen. Suchtmittel sind kein Spielzeug und professionelle Hilfe ist wesentlich. Überhaupt, wenn der Dealer des Vertrauens dank Instagram & Co. schon im Kinderzimmer sitzt.“ 

 


 

Chefinspektor Fritz Wurglits, Leiter Referat Kriminaldienst, Bezirk Oberwart

„Grundsätzlich ist es nicht so, dass die Jugendlichen in unserer Region ein dominantes Problem mit Drogen haben. Oder dass sich Eltern fürchten müssen, wenn ihre Kinder vor die Tür gehen. Wir haben keine offene Drogenszene im Bezirk. Es gibt aber natürlich Plätze, an denen Drogen konsumiert und verkauft werden. Diese werden von uns überwacht, wechseln aber ständig. Allerdings ist seit der Corona-Pandemie eine Tendenz bemerkbar, dass in der Altersgruppe von 14 bis 18 Jahren der Anfall von Suchtmittelkonsum steigt. Grund dafür könnte auch die leichtere Besorgbarkeit aus dem Darknet oder über diverse Social-Media Plattformen sein. Einstiegsdroge ist nach wie vor Cannabis, aber die Hemmschwelle oder die Scheu gegenüber synthetischen Drogen bzw. Tabletten sinkt drastisch. Verändert hat sich das Konsumverhalten der Jugendlichen auch dahingehend, dass schon beim Erstkonsum nicht mehr davor zurückgeschreckt wird, zu synthetischen Drogen zu greifen. Wir raten Eltern, mit ihren Kindern zu diesem Thema das Gespräch zu suchen und auf Veränderungen im Verhalten oder im Freundeskreis zu achten und sich im Bedarfsfall rechtzeitig an Beratungsstellen zu wenden.

Im Bezirk Oberwart arbeiten vier erfahrene Beamte ausschließlich im Bereich Suchtmittelerhebungen, dieser Bereich ist uns als Polizei sehr wichtig und wir stellen die erforderlichen Ressourcen dafür auch zur Verfügung. Laut Kriminalstatistik des Bundesministeriums für Inneres haben sich die Suchtgiftanzeigen nach dem SMG (Suchtmittelgesetz) im Bezirk Oberwart vom Jahr 2021 (180 Anzeigen) ins Jahr 2022 (193 Anzeigen) um 7 % erhöht. Burgenlandweit gab es eine Steigerung von ca. 8,1 %.“


 

Die Offene Jugendarbeit Pinkafeld / Oberwart ist eine Kooperation der Gemeinden Pinkafeld und Oberwart und dem SOS-Kinderdorf, die von den beiden Streetworkern Rene Wagner (mit Kapperl) und Oliver Zankl betrieben wird. Sie bieten ein offenes und kostenloses Angebot für alle Jugendlichen zwischen 13 und 18 Jahren. Der Jugendraum befindet sich am Pinkafelder Rathausplatz 5 im 3. Stock und ist jeden Dienstag und Freitag von 15 bis 19 Uhr geöffnet.


Kontakt:

Psychosozialer Dienst, Telefon 05 09 44

Rat auf Draht, Telefon 147

Offene Jugendarbeit in Oberwart und Pinkafeld, Telefon 0664 78453002


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