Bericht

Die „Abnehmspritze“: Vom Arzneimittel zum Lifestyle-Produkt

Seit 2018 ist das Arzneimittel Ozempic auf dem Markt und hat sich als vielversprechendes Medikament für Menschen mit einer schwer einstellbaren Diabetes Typ II-Erkrankung erwiesen. In den letzten Monaten wurde es auf Social-Media-Plattformen wie Instagram und TikTok jedoch als „Abnehmspritze“ beworben. Worum es sich dabei genau handelt und warum aufgrund dieses Hypes der Grundbedarf für Zuckerkranke nicht mehr gedeckt werden kann, erzählt Doris Pieler, Apothekerin in Bad Tatzmannsdorf und Oberschützen.

Foto@Chiara Pieler

Apothekerin Mag. Doris Pieler wirft die ethische Frage auf, ob das Medikament Ozempic, das für Zuckerkranke und zur Gewichtsregulierung zugelassen ist, für adipöse Menschen zweckentfremdet wird.  

 

Wie funktioniert das Medikament?

„Der Hauptwirkstoff von Ozempic ist Semaglutid, welches das Hormon GLP-1 imitiert und somit im Gehirn ein Sättigungsgefühl erzeugt. Es kommt zu einer erhöhten Insulinausschüttung in der Bauchspeicheldrüse, was den Blutzuckerspiegel senkt. Außerdem verlangsamt es die Entleerung des Magens und erzeugt ein Gefühl, länger satt zu sein“, erzählt die Pharmazeutin. 

Diese Wirkungsmechanismen haben dazu geführt, dass es seit dem letzten Jahr zudem bei adipösen Patientinnen und Patienten angewandt wird. Die Verabreichung erfolgt über eine Spritze, ähnlich einem Insulin-Pen. Um die Nebenwirkungen (siehe Info, rechts) so gering wie möglich zu halten, steigert man die Dosierung nur langsam.  

 

Der Hype um ein Arzneimittel

Während der letzten Monate konnte in den Apotheken beobachtet werden, dass gelieferte Ware sofort wieder vergriffen war. „Es gibt nur noch Kontingent-Ware. Wir bekommen also ein gewisses Kontingent, bis dieses für den Monat ausgeschöpft ist. Als Apothekerin kann ich leider nicht sagen, ich möchte 100 Stück des Arzneimittels bestellen“, so Pieler. Warum Ozempic plötzlich einen regelrechten Hype erlebt, lässt sich auf die Medien und verschiedenste Hollywood-Stars wie Elon Musk, Khloé Kardashian und Amy Schumer zurückführen. Diese berichten von Gewichtsverlusten von bis zu 17 Prozent. 

„Nüchtern betrachtet: 17 Prozent seines Körpergewichts kann man verlieren – mithilfe von gesunder Ernährung und Bewegung – und ohne Jojo-Effekt. Dazu braucht es kein derart starkes Medikament“, entgegnet die Pharmazeutin. Hierbei stellt sich die Frage, warum sich trotzdem derart viele Menschen für diese Abnehm-Alternative entscheiden. „Weil es mit Anstrengung verbunden ist, Gewicht durch Sport und über eine gesunde Ernährung zu reduzieren. Da ist die „Abnehmspritze“ der leichtere Weg. Deshalb nimmt man auch die zahlreichen Nebenwirkungen in Kauf.“

 

Chance oder Ungerechtigkeit?

Einige an Diabetes erkrankte Menschen sind aufgrund einer Insulinresistenz auf eine Behandlung durch Ozempic angewiesen. Es gibt derzeit keine Alternative. Im Moment steigt die Anfrage auf das Arzneimittel durch die Zulassung zur Gewichtsreduktion an. Die große Problematik hierbei ist, dass Zuckerkranke oft nicht mehr an ihr lebenswichtiges Medikament kommen, da es einfach nicht mehr verfügbar ist. Die Pharmazeutin berichtet von Engpässen und Kontingentware, die kurz nach dem Eintreffen wieder vergriffen ist. „Es ist natürlich schon bedenklich, wenn Erkrankte, die auf andere Diabetika nicht ansprechen, ihr Medikament nicht bekommen und ein „Run“ auf ein lebensnotwendiges Arzneimittel entsteht.“ 

Dabei verweist die Apothekerin auf die leichtfertige Verschreibung der Spritze zur Gewichtsreduzierung von Ärztinnen und Ärzten. Der Wirkstoff Semaglutid darf erst ab einem BMI von mindestens 30 zur Gewichtsabnahme verschrieben werden. Immer wieder wird aber berichtet, dass Ärztinnen und Ärzte Ozempic bereits ab einem geringeren BMI verschreiben. Da es sich hier um einen Off-Label-Use (nicht bestimmungsgemäßer Gebrauch, Anm.d.Red.) handelt, gibt es einen Ermessensspielraum der behandelnden Ärzt*innen. Somit verstoßen sie auch nicht gegen das Gesetz. Dazu meint Pieler: „Man kann es schon auch als Chance für diese Patient*innen sehen, aber der Mensch muss schwer adipös (siehe Infokasten) sein, damit eine Einnahme gerechtfertigt ist.“

 

Eine Frage der Ethik

Aufgrund der Knappheit des Medikaments bringt die Apothekerin eine ethische Frage ins Spiel: „Die Situation im Moment ist auch im Hinblick auf die Ethik zu hinterfragen, da lebenswichtige Medikamente einfach nicht mehr erhältlich sind.“ Die Pharmazeutin verweist dabei auf einen Diabetiker, der aus Baden in Niederösterreich nach Bad Tatzmannsdorf gereist ist – um die letzte verfügbare Packung zu „ergattern“. Von einem Medikament, auf das er angewiesen ist.

Laut dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) kann der Bedarf aller Diabetes-Patient*innen mit dieser Arznei nicht gedeckt werden. Auf Nachfrage von prima! bei der Ärztekammer über die Verwendung des Medikaments für Abnehmzwecke verweist diese auf den Rote-Hand-Brief des BASG. In diesem heißt es: „Ozempic® (Semaglutid) ist zugelassen zur Behandlung des unzureichend kontrollierten Diabetes mellitus Typ 2 (…) Jede andere Verwendung, auch zur Gewichtskontrolle, stellt einen Off-Label-Use dar und gefährdet derzeit die Verfügbarkeit von Ozempic® für die indizierte Bevölkerungsgruppe [Diabetikerinnen und Diabetiker].“ Eine entsprechende Gesetzesänderung, die in diesem Fall einen Off-Label-Use verbieten könnte, ist derzeit nicht in Sicht. 


Nebenwirkungen
Häufige Nebenwirkungen sind Übelkeit, Durchfall, Erbrechen und Bauchschmerzen. In einigen Fällen können auch Reaktionen an der Injektionsstelle, Kopfschmerzen oder Verstopfung auftreten. In seltenen Fällen kann es zu Gallenblasenerkrankungen und Pankreatitis führen.

Was ist der BMI?
Der Body-Mass-Index (BMI) dient zur Abschätzung des Körperfettanteils. Für die Berechnung des BMI wird das Körpergewicht in ein Verhältnis zur Körpergröße gesetzt.
BMI < 18,5 = Untergewicht
BMI 18,5 – 24,9 = Normalgewicht
BMI 25 – 29,9 = Übergewicht
BMI ab 30 = Adipositas

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