Interview

„Wer positiv denkt, kann Negatives auch besser verarbeiten“

Wir sollten viel mehr Positives in unser Leben lassen. Das sagt Dr. Erwin Gollner und hat bereits in der Märzausgabe das PERMA-Modell vorgestellt. Auf fünf Bereiche müssen wir achten, um ein erfülltes Leben zu führen. Der erste beschäftigt sich mit den positiven Emotionen. Um sie zu empfinden, müssen wir überhaupt erst einmal das Positive erkennen – und das können wir trainieren, sagt Gollner. Und außerdem sollten wir unsere Liebsten viel mehr berühren, uns gegenseitig anlächeln und grüßen.

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Sind positive Gefühle eine Fähigkeit, die jeder Mensch besitzt oder werden manche erwachsen, ohne diese positiven Gefühle in sich zu tragen?

Dr. Erwin Gollner: Aus der Sicht der Positiven Psychologie hat jeder Mensch diese Ressourcen in sich – auch die Fähigkeit, Glück zu empfinden. Sie ist zu 50 Prozent genetisch determiniert. Zu zehn Prozent ist sie anlassbezogen – also wenn man beispielsweise einen Lottogewinn macht. Und zu 40 Prozent ist die Empfindung und Entwicklung von positiven Gefühlen eine Fähigkeit, die man trainieren kann. Also man kann trainieren, positiv zu denken. 

Die positiven Emotionen sind im Gehirn im vorderen Stirnlappen links beheimatet. Rechts sind Ängste und Trauer verankert. Wenn man diesen linken Stirnlappen, also die positiven Emotionen, trainiert, gelingt es einem leichter, positive Gefühle zu entwickeln und Positives wahrzunehmen.

 

Warum ist die Grundstimmung bei vielen so negativ?

Wir haben ein „Katastrophengehirn“. Um zu überleben, mussten wir immer daran denken, wo eine Gefahr lauert. Deswegen sind wir eher anfällig auf das Negative und denken eher im Negativen. Das war immer für das Überleben wichtig. Das ist heute nicht mehr nötig. Aber es ist immer noch in uns drinnen. Deshalb müssen wir bewusst positive Emotionen herholen.

 

Wie gelingt es, dass ich positive Emotionen wahrnehme?

Indem ich mir überlege: Was führt zu einer Reaktion in mir, die mich positiv stimmt? Ein Kompliment, ein erfolgreiches Erlebnis, ein Blick in die Natur etc. Das können viele Dinge sein. Auch Dankbarkeit führt zu einer positiven Emotion.

 

Aber jemand, der negativ geprägt ist, kann das ja nicht einfach so abrufen.  Wie erkennt man Positives?

Ja, man muss den Blick darauf trainieren und dazu gibt es eine gute Übung, die man am Abend, vor dem Schlafengehen macht. Man zieht ein Tages-Resümee und stellt sich dabei die Fragen: Was ist heute gut gelaufen? Was war heute schön? Worauf bin ich stolz? Wann war ich heute glücklich? Was habe ich heute erledigen können? Eine Studie hat gezeigt, dass Menschen, die das über sechs Monate gemacht haben, begonnen haben, intensiver positiv zu denken und positive Emotionen wahrzunehmen. 

Eine andere Übung ist das Dankbarkeitstagebuch. Wenn man etwas erlebt hat und dafür dankbar und stolz ist, schreibt man es auf. Auch das trainiert den linken vorderen Stirnlappen.

 

Also auch Dankbarkeit macht glücklich?

Ja, das ist so. Ein ehrliches Danke öffnet Türen – bei Kollegen, Mitarbeitern, in der Partnerschaft etc. Ein Danke führt dazu, dass man dem anderen zeigt, dass man ihn sieht und wahrnimmt. Das ist auch in der Politik ein Schlüsselthema. Jene politischen Parteien erhalten die Stimmen, die den Menschen das Gefühl geben, dass sie in ihren Ängsten und Sorgen wahrgenommen werden. 

 

Was ändert sich durch das positive Denken?

Es geht nicht darum, dass man mit der rosaroten Brille durchs Leben läuft. Negative Emotionen gehören zum Leben dazu. Aber man kann negative Ereignisse besser bewältigen, wenn man gelernt hat, positive zu spüren. Es gibt Studien, die zeigen, dass Menschen, die das positive Denken erlebt haben, Traumata besser verarbeiten. 

Barbara Fredrickson hat den positiven Quotienten erforscht. Dieser besagt: Ich soll drei Mal so viel positive Emotionen haben wie negative, um ein gutes Leben zu führen. Wer in seiner Beziehung das positive Verhältnis von 3:1 hat, führt eine gute Beziehung. Dabei reichen Gesten und Worte, um eine positive Emotion bei meinem Gegenüber hervorzurufen. Paare hingegen, die ein Verhältnis 1:1 haben, haben eine erhöhte Trennungs- bzw. Scheidungsrate.

 

Es braucht also nicht viel, um das Positive hervorzurufen?

Nein, es sind die täglichen Kleinigkeiten, um das Schöne zu sehen. Wir haben in den letzten Jahren viele Einschränkungen und Verbote erlebt. Vieles durfte man nicht. Vieles ist negativ. Die Gesellschaft ist gespalten. Die sozialen Kontakte fehlten und soziale Kontakte und Beziehungen machen nun einmal glücklich. Man sollte sich mit Menschen umgeben, die man mit einer positiven Emotion verbindet. Fredrickson sagt, wenn man die positiven Gefühle trainiert und die Achtsamkeit auf Positives richtet, erweitert das auch die Sinneswahrnehmung. Wir kennen das ja, wenn wir Stress haben und negative Gefühle vorherrschen, dann haben wir einen Tunnelblick. Wenn wir das Positive sehen, können wir viel mehr um uns herum wahrnehmen. 

Übrigens: Auch Sport macht glücklich, weil er zu einem angenehmen Körpergefühl führt.

Ebenso haben Tiere eine positive Wirkung. Wenn wir eine Katze oder einen Hund streicheln, ist das ein positives Gefühl. Es beruhigt und setzt das Kuschelhormon Oxytocin frei. Bei älteren Menschen werden Tiere auch als Therapieform eingesetzt. Natürlich ist auch das Kuscheln zwischen zwei Menschen wichtig. Der Mensch braucht die positive Kraft der Berührung.

 

 

Auch Dankbarkeit macht glücklich.“

 

 

Ist es nicht oft so, dass wir von anderen erwarten, dass sie uns glücklich machen?

Ja, aber Fakt ist, dass ich für mich selbst verantwortlich bin. Das muss ich erkennen und danach handeln. Aaron Antonowsky hat das als „Handhabbarkeit“ bezeichnet. Ich muss mein Leben und mein Glück in den eigenen Händen halten können. Nicht der Partner oder die Partnerin, die Kinder oder Freunde müssen mich glücklich machen. Wenn ich glücklich bin, mache ich den anderen auch glücklich. 

 

Und warum sollten wir mehr lächeln?

Wer lächelt, kommt ganz anders beim Gegenüber an. Wenn man jemanden kennenlernt, ist innerhalb von Millisekunden entschieden, ob wir ihn sympathisch finden oder nicht. 

Ich finde es auch normal, jemanden zu grüßen. In der Obersteiermark, wo ich gewohnt habe, war ein „Grias di“ oder „Servas“ normal. Wenn ich unterwegs bin und fremden Menschen begegne, grüße ich als Erster. Ich ernte oft erstaunte Blicke, weil es nicht mehr üblich ist. Aber ich tue es für mich. Ich warte nicht, bis mich jemand grüßt und ärgere mich auch nicht, wenn es jemand nicht tut.  Gerade wenn ich ich in der Natur bin, bin ich ganz bei mir, weil diese positive Emotionen auslöst. Also, gehen Sie raus in die Natur und schärfen Sie den Blick für das Grün und das Schöne in der Welt! 



Prof.(FH) Mag. Dr. Erwin Gollner, MPH MBA, Leiter des Departments Gesundheit an der FH Burgenland, erläutert das PERMA-Modell.
Dabei handelt es sich um einen Denkansatz aus der Positiven Psychologie für eine gesunde Lebensführung.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar von Mag. Michaela Resetarics, Msc über die Anwendung des PERMA-Modells in Schulen

>> PERMA@school


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